Unter Trümmern
ich morgen besorgen.“ Er sagte das mehr zu sich als zu Dorle und kramte die Zigarettenschachtel aus seiner Hose. Es war nur noch eine Kippe darin.
„Hast du …“, er hielt kurz inne, „haben Sie noch Luckys?“
„Ich rauche nicht.“
„Und andere?“
„Nein.“
Bauer verzog sein Gesicht und steckte sich diese letzte Zigarette an.
„Was arbeitest du denn genau?“
„Haushalt.“
„Warum sagst du es nicht genauer. Ist doch nichts Schlimmes. In dieser Zeit ist doch nichts schlimm, oder?“
„Ich arbeite!“ Dorle sagte das sehr kategorisch, um die Diskussion zu beenden.
„Bei den Franzosen, oder?“
Sie drehte sich ruckartig zu ihm um.
„Stimmt doch, oder?“ Er grinste sie an.
„Woher wissen Sie das?“
„Erstens: kannst du ‚Du‘ zu mir sagen. Ich heiße Herrmann. Und zweitens mache ich einfach meine Augen auf.“
„Sind Sie mir gefolgt?“
Er zuckte mit den Schultern, grinste erneut. „Ich weiß ganz gerne, mit wem ich es zu tun habe, Dorle. Ist der reich, der Franzose? Bestimmt, oder? Hast du von dem die Zigaretten?“
Bauers Augen flackerten wieder.
„Da könnten wir uns doch nehmen, was wir brauchen. So ein Franzmann, der genug hat, der merkt das doch nicht. Der hat doch bestimmt Silberbesteck und so. Da kannst du doch immer was von mitgehen lassen.“
Dorle sah den Mann verständnislos an.
„Verstehst du nicht?!“ Er klang ungehalten.
„Der hat genug und wir haben nichts. Dem macht das nichts aus. Die Franzosen saugen die Deutschen aus, bis aufs Blut. Da ist es nur gerecht, wenn wir uns zum Leben nehmen, was wir brauchen. Wir brauchen einfach Sachen zum Tauschen. Willst du nicht jeden Tag ein Stück Fleisch?“
„Nein!“, erwiderte sie zu Bauers Überraschung, und das sehr fest. „Nein, das mache ich nicht. Niemals!“
Das hatte sie dem Mann regelrecht entgegengeschleudert, sodass er keinen weiteren Versuch unternahm, sie zum Diebstahl zu überreden.
„Hast du denn nichts mehr im Haus, das wir tauschen könnten?“, versuchte er es auf anderem Weg.
„Nein, nein, nein!“
„Diese, na, was der Hajo gesammelt hat, diese … ja Fastnachtsmützen …“
Dorle fuhr zusammen. „Nein, nie!“, schrie sie zurück, stand auf, warf dabei ihren Stuhl um und rannte nach oben ins Schlafzimmer, wo sie den Keil unter die Tür trieb und sich auf ihr Bett warf.
Kurz darauf klopfte es zaghaft an ihre Tür.
„Tut mir leid, Dorle.“ Pause. „Ich wollte Ihre Gefühle nicht verletzen. Ich dachte ja nur, dass es auch für Sie … Sie müssen ja auch was essen …“ Dorle hörte, dass die Türklinke niedergedrückt wurde. Der Keil verhinderte, dass der Mann eindrang.
„Machen Sie auf, Dorle, bitte. Es tut mir leid.“
„Gehen Sie!“, rief sie zurück.
Es dauerte einige Sekunden, bis sie seine Schritte auf der Treppe im Erdgeschoss hörte. Für den Rest des Abends wagte sie sich nicht aus dem Zimmer.
Dorle hatte lange wach gelegen und war am Donnerstagmorgen noch sehr müde, als sie sich auf den Weg zu Capitaine Jarrés machte. An diesem Tag war sie nicht bei der Sache, vergaß dies und verlegte jenes, ließ sogar eine kleine Schüssel auf den Boden fallen, wo sie in tausend Teile zerbarst. In ihrem Kopf focht sie einen schweren Kampf aus. Auf der einen Seite wollte sie, dass Bauer ging, auf der anderen Seite fühlte sie sich ihm gegenüber verpflichtet, weil er Hans-Joachim kannte und ihm während der gemeinsamen Zeit der Gefangenschaft geholfen hatte. Und die Fastnachtsmützen … warum fing er immer wieder von den Fastmützen an? Zufall?
Als sie endlich nach Hause kam, war Dorle erleichtert, dass Bauer nicht da war. Sie setzte sich auf ihre Bank, doch die Ruhe währte nicht lange. Jemand klopfte ans Tor. Einen Moment lang war sie versucht sitzen zu bleiben, doch schließlich stand sie auf. Vor dem Tor stand Franzi.
„Man sieht dich ja kaum noch“, begrüßte die ihre Freundin.
„Der Capitaine will ständig, dass ich bei ihm arbeite“, erklärte Dorle und ging vor in den Hof, wo beide Frauen auf der Bank Platz nahmen.
„Ein Mann ist bei dir gesehen worden. Ein fremder Mann“, fing Franzi an.
Dorle schluckte, überlegte kurz und erzählte ihrer Freundin von der Begegnung auf dem Friedhof und dass Bauer ein Freund und Kamerad von Hans-Joachim war, schon aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und auf dem Weg nach Hause.
„Ja, sie waren zusammen im Lager“, beendete Dorle ihren Bericht. „Sagt Bauer.“
„Du klingst aber nicht erfreut. Ist es wegen
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