Unter Trümmern
eine Geste, die einen Absturz andeutete.
So ging das in der nächsten Stunde weiter. In Bauers Erzählungen war ihr Mann eine Lichtgestalt. Einer, der anderen half und allenfalls mal Hilfe von Bauer in Anspruch nahm, und Dorle wusste nicht, ob er ihr das erzählte, weil er sich bei ihr einschleimen wollte oder glaubte, dass er ihr eine Freude damit machte. Es stimmte vieles nicht mit ihrem Bild von Hans-Joachim überein.
Gegen acht Uhr teilte sie Bauer mit, dass sie müde war.
„Wirklich?“, fragte der. „Haben Sie denn noch eine …“ Er machte eine Geste des Rauchens und versuchte zu lächeln.
Bevor sie Bauer eine weitere Zigarette gab, öffnete sie Fenster und Tür, um Durchzug zu schaffen. „Damit es nicht so nach Rauch riecht“, sagte sie.
„Hajo hat mir von seiner Fastnachtsmützensammlung erzählt. Richtig geschwärmt. Die müssen Sie mir unbedingt zeigen.“
Jetzt zuckte Dorle zusammen. Darüber hatte sie sich nie Gedanken gemacht. Vielleicht bei der ersten, möglicherweise auch bei der zweiten Fastnachtsmütze, aber danach nicht mehr. Und nach Rolfs Tod überhaupt nicht mehr.
„Ja, ja“, beeilte sie sich zu sagen, schloss wieder die Tür und das Fenster, wünschte „Gute Nacht“ und eilte nach oben, wo sie ihre Tür von innen verschloss.
Sie lag noch lange wach, hörte den fremden Mann, der ihr ihr eigenes Haus fremd machte, darin herumgehen und sie fürchtete, dass er Zigaretten suchte. Warum hatte sie ihn ins Haus gelassen? Sie wollte nicht wissen, was für ein toller Kerl ihr Hans-Joachim ist.
Als Dorle am nächsten Morgen das Haus verließ, um zu Capitaine Jarrés zu gehen, ließ sie einen schnarchenden Herrmann Bauer zurück. Den ganzen Vormittag war sie in der Küche des Franzosen mit Vorbereitungen für einen Empfang am Nachmittag beschäftigt. Elaine schob ihr immer mal wieder ein kleines Stück Gemüse zu.
Als sie am Nachmittag nach Hause kam, saß Bauer auf der Bank in ihrem kleinen Hof und rauchte.
„Setzen Sie sich zu mir, Dorle!“, forderte er sie auf. In seiner Stimme schwang etwas Befehlsmäßiges mit, das sie vorsichtig sein ließ.
„Wo kommen Sie denn her? Habe mir schon Sorgen gemacht.“
„Arbeiten“, antwortete Dorle lapidar.
„Arbeiten“, wiederholte Bauer erstaunt. „In dieser Zeit?! Wo findet eine Frau denn Arbeit? Alle sagen, dass es keine Arbeit gibt. Außer vielleicht für ein paar Glückliche. Oder so Sachen, Sie wissen schon, die Soldaten, die ausgehungerten …“
Er sah sie wieder mit diesem flackernden Blick an, der ihr unangenehm war. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Haare nicht mehr so verfilzt waren.
„Habe mich mal gewaschen“, sagte er, als er ihren Blick bemerkte. „Denke mir, Sie wollen keinen Stinkstiefel in Ihrem Haus haben, Dorle. Hajo hat gesagt, dass Sie’s ordentlich mögen.“ War da wieder so ein anzüglicher Unterton? Vielleicht sah sie auch Gespenster, beschwichtigte sich Dorle.
„Aber sagen Sie doch, was arbeiten Sie denn? Kommen von da die Zigaretten her? Muss ein guter Job sein. Oder muss ich dem armen Hajo …“
Ein Blick von Dorle brachte ihn zum Schweigen.
„Schon gut, Entschuldigung, aber Sie können mir doch sagen, wo Sie arbeiten.“
Sie zögerte. „Ich arbeite!“, sagte sie, stand auf und ging ins Haus. In ihrem Schlafzimmer sah sie sofort, dass Bauer hier gewesen war und er hatte auch die Zigaretten gefunden.
„Die Zigaretten!“, forderte sie von dem Mann, als sie vor ihn trat.
Er tat überrascht. „Aber …“
„Die Zigaretten.“ Dorle war wütend und verletzt.
Er nahm eine Schachtel aus seiner Hosentasche.
„Die andere …“
Er tippte an seine Brust. „Wissen Sie, wenn Sie so lange nicht …“
Dorle drehte sich um und ging in die Küche, wo sie aus ein paar Gemüsestücken, die Elaine ihr eingesteckt hatte, ein Abendessen bereitete. Dazu machte sie mit Kräutern aus ihrem Garten einen Tee.
„Wissen Sie, wovon wir im Lager geträumt haben, Dorle? Von Fleisch. Von Bergen von Fleisch. Unendlich viel Fleisch. So viel, wie wir unser ganzes Leben nie essen könnten. Verrückt!“
Auch an diesem Abend erzählte Bauer in Dorles Augen Belangloses und als sie es nicht länger ertragen konnte, ging sie nach oben in ihr Schlafzimmer, wo sie erschreckt feststellte, dass der Schlüssel für die Tür fehlte. Zuerst wollte sie runter, ihn zurückfordern, aber es war ihr zu anstrengend. Sie verkeilte ein flaches Holzstück unter der geschlossenen Tür und legte sich ins Bett. Sie fühlte sich in
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