Unter Trümmern
verwundert, weil Franzi völlig unbeeindruckt schien und keinen Zentimeter zurückwich.
„Ihnen brauche ich gar nichts zu beweisen. Dorle weiß, dass ich Recht habe und dass ich nicht lüge. Nicht wahr, Dorle?“ Er sah über Franzis Schulter zu ihr herüber. Sein Gesicht war gerötet. Während er sprach, hatte er seine Zigarette im Mund behalten.
Dorle war zutiefst verunsichert. Sie wusste gar nicht, was sie glauben sollte.
„Wenn das stimmt, was Sie sagen, und wenn Ihnen an Dorles Wohl etwas liegt, dann beweisen Sie es ihr.“
„Passen Sie auf, verdammt!“, schnauzte Bauer Franzi an.
Er stieß sie so fest von sich weg, dass sie nach hinten stolperte und fast gefallen wäre.
„Noch einmal und ich schlage zu …“
„Ach, so einer sind Sie. Frauen schlagen. Und im Krieg die Hose voll …“ Franzi unterlegte ihre Provokation mit einem Lachen.
„Franzi, hör doch auf!“, beschwor Dorle sie. Tränen rannen ihr über die Wangen.
„Sag ihm, dass er gehen soll!“, forderte Franzi, aber Dorle stand stumm hinter ihr und sah abwechselnd zwischen den beiden Menschen in ihrem Hof hin und her.
„Dorle, bitte … wirf ihn raus!“ Aber die reagierte noch immer nicht.
Bauer setzte sich in Bewegung, kam langsam auf die beiden Frauen zu. Im Gehen schnippte er den Zigarettenstummel weg, Franzi vor die Füße.
„Du entschuldigst dich jetzt!“, verlangte er, als er vor ihr stand.
Sie schüttelte ganz leicht den Kopf. „Dorle, wirf ihn raus. Er hat mich angefasst und gestoßen. Und jetzt droht er mir. Schmeiß den Kerl raus!“
Der sah sie kühl an, lachte plötzlich und packte Franzi an den Oberarmen, riss sie herum und stieß sie zum Tor.
Am Eingang blieb Franzi stehen. „Hast du das gesehen? Du musst ihn doch …? Ich komme erst wieder in dieses Haus, wenn der weg ist!“
Sie brach in Tränen aus und verließ eilig das Grundstück.
Dorle sah ihr einen Moment nach, dann lief sie ins Haus und verriegelte es von innen.
In der Nacht unternahm Bauer keinen Versuch ins Haus zu gelangen.
Bevor sie am nächsten Morgen noch während der Dämmerung das Haus verließ, sah sie durch das Fenster nach draußen, ob Bauer dort war. Sie konnte ihn nicht entdecken. Sie kochte sich einen Muckefuck und schlich auf die Straße. Sie fürchtete, dass Bauer sich versteckt hielt und sie zur Rede stellte, wenn sie in den Hof trat. Aber nichts geschah.
Es würde wieder ein warmer Tag werden. Sie schlich durch die Straßen, auf denen schon die ersten Hamsterer unterwegs waren, um aufs Land zu fahren. Die Rücksäcke und Taschen hingen noch schlaff am Rücken oder an der Hand.
Dorle lief los und erst, als sie fast die neue Universität erreicht hatte, wurde ihr bewusst, wie weit sie sich von ihrem Haus entfernt hatte und dass sie auf dem Weg zum Bahnhof war, um nach einer Nachricht von Hans-Joachim zu schauen. Wollte sie sich beweisen, dass sie auf ihn wartete und dass sie mit diesem Warten, wie es sich gehörte, ihre ehelichen Pflichten erfüllte? Im Guten wie im Schlechten. Bis dass der Tod euch scheidet. Sie war verheiratet. Hans-Joachim war ihr Mann. Sie hatten einen Bund geschlossen. Einen Bund vor Gott. Er war ihr Zeuge. Da konnte sie doch nicht so einfach … Warum hatte Franzi gestern all diese Sachen gesagt, über Bauer, über Hans-Joachim, über die Männer? Sie hatte gut reden. Ihr Norbert war schon lange tot. Und seitdem hatte sie keinen mehr angesehen. Obwohl sie auch noch … Dorle erschrak über ihre Gedanken. Sie hatte doch gar nicht vor, einen anderen Mann … Und doch, was wäre, wenn die Nachricht käme, dass Hans-Joachim nicht mehr lebte? Sollte sie wie Franzi den Rest ihres Lebens alleine …? Sie spürte, wie diese Fragen sie durcheinanderbrachten. Sie tat ja schon so, als ob Hans-Joachim tot wäre. Vielleicht wollte sie sich ja nur selbst beruhigen, indem sie zum Bahnhof ging. Auf dem Weg dorthin fiel ihr der Streit zwischen den Männern dort ein und dass einer von ihnen dieser Kommissar war. Schnell schob sie den Gedanken beiseite.
An der Universität stieg sie in die Straßenbahn zum Bahnhof und lief dort zwischen den Menschen umher, die wie sie ihre Angehörigen suchten. Sie merkte schnell, dass sie unkonzentriert war, ihr Blick nur flüchtig auf den Zetteln und den Plakaten haften blieb und dass sie die Namen nicht wahrnahm, die die anderen um sie herum riefen. Nach zwei Stunden, die sie ermüdeten, verließ sie das Gebäude und setzte sich auf der anderen Seite des Bahnhofsplatzes auf einen Stein,
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