Unter Trümmern
Gehwegen hatten sich Pfützen gebildet.
Sie hatten zum Leidwesen seines Assistenten wieder nur den Vorkriegs-Opel mit der Holzgasanlage bekommen und neben seinem Jammern darüber musste sich Koch auch noch die begeisterten Berichte über das Ruhestein-Bergrennen anhören. Siggi war wie besessen davon.
„Jetzt fangen Sie mit diesen Rennfahrer-Geschichten nicht auch noch bei der Befragung an, verstanden, Siggi?!“, wies Koch den Jungen zurecht, während die Tür hinter ihm geöffnet wurde.
„Guten Tag …“, begann er in der Drehung, doch dann stockte er.
Auch die Frau sah den Kommissar überrascht an.
„Sie …?“, sagte sie, fing sich aber schneller als Koch. „Guten Tag.“ Sie blickte zu Siggi und grüßte auch ihn. Der wusste nicht, was hier passierte, aber es war offensichtlich, dass die beiden sich kannten und im Moment mit der Situation nur schwer umgehen konnten.
„Frau Becker? Dorothea Becker?“, fragte Koch. Seine Stimme klang dünn, dabei ließ er seine Augen nicht von der Frau.
Sie nickte. „Ja.“
„Dürfen wir hereinkommen?“ Es war Siggi, der die Frage stellte, als die Pause zu lange dauerte.
Sie sah den jungen Mann verständnislos an.
„Wir sind von der Polizei und hätten ein paar Fragen an Sie.“
Koch war noch immer zu aufgeregt, um eingreifen zu können. Dennoch blieb ihm der Schrecken, den das Wort „Polizei“ im Gesicht der Frau hervorgerufen hatte, nicht verborgen.
War an der Beschuldigung dieses alten Mannes doch etwas dran?
„Um was geht es denn?“
Koch hörte die Nervosität aus ihrer Stimme heraus. Er wurde ruhiger und nahm eine professionelle Haltung an.
„Nur ein paar Fragen“, erklärte er und versuchte beruhigend zu wirken.
„Ja, bitte, kommen Sie rein“, erwiderte sie, trat zur Seite und ließ die beiden Männer in den Hof.
Dorle ging vorneweg, Siggi folgte ihr, nur Koch ließ sich einen Moment Zeit. Da suchte er andauernd nach dieser Frau, und nun stand er vor ihr und er musste wegen der Anzeige eines Denunzianten gegen sie ermitteln. Und die Frau verhielt sich auffällig nervös. Er wollte sich nicht einbilden, dass es wegen ihm war. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte.
Koch und Siggi saßen in der Küche am Tisch. Dorle kam mit einer Keramikkaraffe. Als sie das Wasser in Kochs Glas schütten wollte, goss sie daneben und einige Tropfen landeten auch auf dessen Hose.
„Oh, entschuldigen Sie“, fuhr Dorle zusammen. Sie ging zur Spüle und reichte dem Kommissar ein Tuch.
„Nicht schlimm“, wiegelte der ab und wischte über den Fleck.
Siggi saß stumm da und beobachtete das seltsame Schauspiel, das sich die zwei erwachsenen Menschen vor seinen Augen lieferten.
„Warum sind Sie … hier?“ Dorles Anspannung war nicht zu übersehen.
„Frau Becker“, begann Koch, hüstelte und versuchte sachlich zu klingen. „Sie … Wir kommen wegen Ihres Sohnes …“
Ihr Gesicht verdüsterte sich. Gleichzeitig schwirrten die verschiedensten Gedanken durch ihren Kopf. Warum fragte der Kommissar nach Rolf? Es ging doch um Peter?
„Ja“, antwortete sie nach einer kurzen Pause. „Er ist tot.“
„Er hat sich selbst umgebracht, haben Sie gemeldet.“
Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. „Ja. Ich habe … ihn … im Keller gefunden.“
„Wann war das?“
Sie antwortete nicht gleich.
„Frau Becker … bitte?“
Koch sah erstaunt zu Siggi. Ihm schien, dass der seine Stimme gesenkt hatte.
„Das war …“ Sie überlegte, wann die Beerdigung gewesen war, wann sie im Rathaus gewesen war, um Rolfs Tod zu melden. Ihre Nervosität verhinderte, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte.
„Das war … Ende März.“ Sie wischte die Tränen aus den Augen.
„Und er hat sich umgebracht?“
Dorle nickte. „Er hat im Krieg ein Bein verloren. Er hat die Schmerzen nicht mehr ausgehalten.“
Warum fragten die Männer nach Rolf? Warum nicht nach Peter? Wenn sie sie verhaften wollten, warum quälten sie sie mit der Erinnerung an ihren toten Sohn?
Endlich fand sie den Mut, die beiden Polizisten direkt zu fragen. „Warum wollen Sie das wissen?“
„Es gibt eine Anzeige gegen Sie. Jemand behauptet, dass sich Ihr Sohn gar nicht selbst umgebracht hätte, sondern dass Sie …“
Es fiel Koch schwer, den Satz zu Ende zu sprechen. Er glaubte nicht, dass diese Frau das getan hatte, aber vor allem, er wollte es nicht glauben.
„Ich … meinen Sohn …“, stammelte sie. „Umgebracht?“
Wieder schossen ihr die Tränen in die Augen.
Koch
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