Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
Vom Netzwerk:
Wasseroberfläche auf. Zwei Minuten später sprudelte das Wasser kräftig. Mit einer Kelle schöpfte sie es ab und goss es in die Tasse, wo es sich gleich grünlich-gelb verfärbte.
    Selbst Zucker gab es in diesem Haushalt. Sie nahm zwei Löffel und rührte sie in den Tee ein, befeuchtete ihren Finger und steckte ihn in die Dose und leckte den daran klebenden Zucker ab. Sie nahm das Röhrchen aus ihrer Tasche, zögerte einen Moment, schüttete den weißen Inhalt in die Tasse und rührte nochmals um. Erleichtert stellte sie fest, dass sich die Farbe der Flüssigkeit nicht veränderte. Sie hob die Tasse an ihre Nase und zog den Duft des Tees ein.
    Sie stellte die Tasse auf ein kleines Tablett, stieß die Tür in den Flur mit dem Fuß auf und ging zu dem Soldaten, der sich gerade seine Uniform glatt strich.
    „Merci, Madame. Merci, vielen … Dank.“
    Dorle nickte und sah dem Mann zu, wie er den ersten Schluck trank.
    „Très chaud!“, war sein Kommentar. „Bon!“
    Dorle eilte in die Küche zurück. Sie war zu aufgeregt, um jetzt die Fleischmasse für die Lewwerknepp zuzubereiten. Sie zählte in Gedanken bis einhundert, lief zur Tür und gleich wieder zurück, begann erneut zu zählen, verzählte sich, startete von Neuem, nahm den Topf mit dem Teewasser vom Herd und hätte sich fast die Hand verbrannt.
    Nun hielt Dorle es nicht mehr aus. Sie öffnete die Tür in den Flur gerade so weit, dass sie sich durch den Spalt drücken konnte und schlich über den Flur zu dem holzgetäfelten Gang. Ihre Beine zitterten so stark, dass sie sich an der Wand abstützen musste. Jean-Luc schlief, dieses Mal war ihm sein Kopf auf die Brust gefallen. Dorle räusperte sich, der Soldat reagierte nicht. Langsam, Schritt für Schritt, arbeitete sie sich zu ihm vor, bis sie endlich neben dem Unteroffizier stand, der schwer, aber gleichmäßig ein und aus atmete.
    Dorle warf einen Blick auf die Tasse. Bis auf einen kleinen Rest war sie ausgetrunken.
    Sie zählte in Gedanken bis fünfzig, zog die Schublade aus der Kommode, wobei sie ein kratzendes Geräusch verursachte. Sofort hielt sie inne und sah zu Jean-Luc herüber. Der hatte seine Position kein bisschen verändert. Hatte Brunner sie belogen und es war gar kein leichtes, sondern ein besonders starkes Schlafmittel? Sie schob den Gedanken beiseite und fasste mit ihrer rechten Hand in die nur ein kleines Stückchen geöffnete Schublade. Vorsichtig strich sie mit der Hand über den Boden, spürte die Fäden von Wolle auf ihrer Haut, bis sie mit ihren Fingerspitzen einen festen Gegenstand berührte. Sie umfasste ihn und zog ihn langsam heraus.
    Sie beobachtete Jean-Luc einige Sekunden sehr intensiv, versuchte gleichmäßig zu atmen, betete, dass der Herr ihr verzeihen möge, steckte den Schlüssel in das Türschloss zum Arbeitszimmer, ruckte ihn zweimal hin und her, bis sie ihn in die richtige Position gebracht hatte. Dorle musste mehr Kraft als erwartet aufwenden, um den Druckpunkt zu überwinden, drehte den Schlüssel ein weiteres Mal. Sie ließ den Schlüssel stecken und drückte die Klinke nieder. Schnell huschte sie in das Zimmer, in dem es düster war, weil die schweren, dunklen Vorhänge zugezogen waren. Schwerer Tabakgeruch umfing sie. Die Wand gegenüber der Tür war bis zur Decke mit einem Bücherregal bedeckt. Davor stand der Schreibtisch, in dessen Schublade sich die braune Ledertasche mit den Unterlagen befinden musste. Vielleicht, redete sie sich ein, vielleicht war die Schublade ja verschlossen.
    Aber diese Hoffnung hielt nur an, bis sie hinter den Schreibtisch getreten war und gleich erkannte, dass diese Lade noch nicht einmal ganz eingerückt war. Dorle setzte sich auf den Teppich und zögerte einen Moment, bevor sie die Lade herauszog. Vor ihr lag die Tasche. Alles war so, wie Brunner es gesagt hatte.
    Sie blieb auf dem Boden sitzen, nahm die Aktentasche und legte sie auf ihren Schoß. Sie war leicht, fühlte sich an, als ob sich gar nichts in ihr befinden würde. Dorle beeilte sich, drückte das Metallstück an dem Verschluss nieder, hob die Lasche und nahm die Schriftstücke heraus.
    Es waren drei Seiten und die erste war mit „Transporte de la solde“ überschrieben.
    Dorle notierte die Strecke, die der LKW nehmen würde, die Uhrzeiten, die Pausen und schließlich die Bewachung und deren Bewaffnung. Sie las eine Zahl, die ihr ungeheuerlich groß vorkam. Sie griff in ihre Rocktasche, um Stift und das Papier, das Brunner ihr mitgegeben hatte, herauszunehmen und sich die

Weitere Kostenlose Bücher