Unter Trümmern
Offizier der Marine, dem es schwer fiel, das Schneidige abzulegen. Alles an dem Mann war akkurat, besonders sein gezwirbelter Schnurrbart. Die beiden Männer hatten bislang noch nicht viel miteinander zu tun gehabt. Zwei- oder dreimal waren sie sich begegnet, bei Kochs Einstellung und bei irgendwelchen offiziellen Anlässen.
Der junge Mann führte ihn zu Arnheims Büro. Koch hörte, wie sein Name genannt wurde, dann die Aufforderung „Führen Sie ihn herein!“
Die Tür wurde geöffnet, mit schnellen Schritten durchquerte Koch den großen Raum. Arnheim, gedrungen und kräftig, und mit einem blauen Zweireiher gekleidet, blieb auf seinem Stuhl hinter dem dunklen Schreibtisch sitzen und gab Koch ein Zeichen, Platz zu nehmen.
Ein Teppich und eine Vase mit einer getrockneten Pflanze sollten dem Raum den Anschein von Wohnlichkeit verleihen. Hinter Arnheim hing ein Bild von Jakob Steffan, dem Regierungspräsidenten. Koch wusste noch, dass sein Vater diesen Mann, einen überzeugten Sozialdemokraten, der auch im KZ gewesen war, gekannt und mit großer Hochachtung von ihm gesprochen hatte.
„Koch, ich habe hier eine Beschwerde gegen Sie vorliegen.“
Keine Begrüßung, kein nettes Wort.
„Sie wissen schon, worum es geht?“, fragte Arnheim.
„Nein“, war dessen lapidare Antwort.
„Nein, Koch? Dr. Werner vom Städtischen Krankenhaus. Dass Sie so früh morgens einen Verdächtigen befragen wollen, ist aller Ehren wert, Koch, aber bitte wahren Sie die Form. Wir haben 1946 und die Zeit der …“, hier verzog sich Arnheims fleischiger Mund zu einem spöttischen Grinsen, „… Gestapomethoden ist vorbei.“
Koch sprang auf. „Was wollen Sie mir damit unterstellen?“
„Koch, bitte!“, entgegnete Arnheim, zufrieden, dass seine Provokation gelungen war. „Eine Übertreibung, um Sie darauf hinzuweisen, dass jetzt für Sie wie für alle anderen Kollegen Gesetze gelten, über die sie sich nicht einfach so hinwegsetzen können.“
„Aber der Hartmann hat …“
Arnheim ließ den Kommissar nicht weitersprechen.
„Koch. Ich weiß um den Fall. Ich habe auch schon mitbekommen, dass Sie bei Brunner waren. Ich weiß, dass dieser Mann im Verdacht steht, hinter einer Reihe von Überfällen zu stecken. Aber, Koch, ich hoffe, dass Sie nichts Unüberlegtes gesagt haben.“
Es fiel Koch zunehmend schwer die Ruhe zu bewahren. Dieser Mann stellte ihn wie den letzten Idioten hin. Und dass mit den Gestapomethoden würde er ihm nicht verzeihen können. Das war eine Grenze, die niemand bei ihm überschreiten durfte.
Auch Arnheim spürte, dass er einlenken musste, dass er den Bogen jetzt nicht überspannen durfte. Er wollte diesem überheblichen und in seinen Augen selbstgerechten Kommissar, der gut reden hatte, wenn man den Krieg und die Diktatur schön weit weg vom Schuss erlebt hatte, seine Grenzen aufzeigen. Das hielt er jetzt für ausreichend getan.
„Koch, ich weiß, dass Sie ein guter Polizist sind und dass es Ihnen um die Aufklärung des Falls geht. Auch ich will, dass wir den Mörder des Wachmanns hinter Schloss und Riegel bringen und auch die Hintermänner zu fassen kriegen. Aber alles mit legalen Mittel, alles in Absprache mit den Kollegen und“, er hielt kurz inne, „mit Ihren Vorgesetzten.“
Er machte eine Pause und wartete auf eine Antwort von Koch. Der wusste, dass jedes Wort von ihm in dieser Situation fatal wäre. Deshalb hielt er seinen Mund, so schwer ihm das auch fiel.
„Gut, Koch. Ich habe hier noch was für Sie.“ Er schob dem Kommissar ein Blatt Papier über den Tisch zu.
„Gestern Abend ist ein junger Mann tot aufgefunden worden. Peter Gerber. Sohn eines Landwirts in Gonsenheim. Erstochen auf dem eigenen Hof. Die Kollegen vom Revier in Gonsenheim waren schon dort. Aber es ist ein Fall für die Kriminalpolizei. Sieht danach aus, dass der Tote einen Einbrecher gestellt hat. Vielleicht war es auch ein durchreisender Soldat. Oder ein DP.“ Arnheim machte eine kurze Pause und sprach mehr zu sich selbst. „Diese Displaced Persons werden zu einer wahren Plage. Erst haben die Nazis sie nach Deutschland gezwungen und jetzt will sie keiner mehr haben.“ Er sah Koch kurz an. „Nehmen Sie sich der Sache mal an. Scheint nicht kompliziert zu sein.“
„Und Hartmann?“
Kurz blitzten Arnheims Augen auf. „Den Fall behalten Sie weiterhin. Wir sind zu wenige Leute. Aber ich stelle Ihnen einen jungen Mann zur Seite. Sehr fähig. Siegfried Maus. Er wartet schon unten in der Fahrbereitschaft auf
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