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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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erreicht hatte, bellte er zweimal laut.

VI
    Dorle hatte in den letzten Tagen ihr Häuschen am Ortsrand von Gonsenheim nur verlassen, um sich mit ihrer Lebensmittelkarte das Notwendigste zu besorgen. Von einer Bekannten, die sie auf der Straße traf, hatte sie erfahren, dass Franzi noch immer mit hohem Fieber im Bett lag und ihre Familie fürchtete, dass sie diesen nicht enden wollenden Winter nicht überleben würde. Dorle bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie in letzter Zeit keinen Moment an ihre Freundin gedacht hatte. Als sie in den Hof trat, war sie über den stürmischen Wind und die schweren Regentropfen überrascht. Einen kurzen Moment überlegte sie doch zu Hause zu bleiben, nahm nach kurzem Zögern aber einen alten, schon an ein oder zwei Stellen eingerissenen Schirm und eilte mit schnellen Schritten zur Bäckerei, um sich das ihr zustehende Stück Brot abzuholen.
    Gerda, die Bäckersfrau, stand hinter der Theke vor den fast leeren Regalen und unterhielt sich lautstark mit drei Frauen aus dem Ort.
    „Hallo Dorle“, wurde die Eintretende begrüßt. „Warst du krank? Wir haben dich ja lange nicht mehr gesehen.“
    Dorle nickte müde. „Diese Kälte. Die macht einen ganz kaputt.“
    Bei diesen Worten musste sie unwillkürlich an Rolf denken, der im Keller lag. Sie wollte nicht darüber nachdenken, dass diese eisige Kälte nicht ewig anhalten würde.
    „Hast du was von deinem Hans-Joachim gehört?“, fragte eine der Frauen.
    „Nein“, sagte sie.
    „In Russland muss es ganz schlimm sein. Man hört ganz furchtbare Sachen von dort. Die Männer werden nach Sibirien gebracht. Da ist es so kalt, dagegen ist das Wetter hier richtig angenehm.“
    Dorle hörte bei dem folgenden Wortwechsel über die Gräuel der Gefangenschaft in den russischen Lagern nicht zu.
    Gerda reichte ihr schließlich ein Brot.
    „Kannst du ein Stück abschneiden, Gerda?“
    „Ja, warum denn?“
    „Für Franzi. Die kann’s gebrauchen. Ist sehr krank.“
    „Ja, ja“, sagte eine der anderen Frauen, „sieht nicht gut aus. Sie hat ganz hohes Fieber.“
    „Kannst du es ihr vorbeibringen?“, fragte Dorle die Bäckersfrau.
    „Warum gehst du nicht selbst?“
    „Ich kann Rolf nicht so lange alleine lassen“, log sie. „Im Moment sind die Schmerzen wieder ganz schlimm.“
    Verständnisvoll nickte die Bäckersfrau ihr zu. Auch die anderen Frauen beteuerten ihr Verständnis.
    „Es kommen auch wieder bessere Zeiten“, sagte Gerda und versuchte Optimismus zu verbreiten.
    „Vielen Dank!“, sagte Dorle, verabschiedete sich und ging in Richtung Tür.
    „Tschüss, Dorle“, sagte eine der Frauen und eine andere: „Grüß mir den Rolf. Das wird schon wieder.“
    In dem Moment wurde die Tür geöffnet und ein Mann betrat den Laden. Dorle, die sich in ihrer Bewegung zur Tür noch einmal umgedreht hatte, sah ihn nicht, stieß gegen den Mann, wollte sich an ihm festhalten, rutschte auf dem glatten Boden aus, ließ ihren Schirm fallen und riss den fremden Mann mit sich, sodass sie auf ihm zum Liegen kam.
    Im Hintergrund begannen die Frauen herzhaft zu lachen und zu scherzen, während die beiden Gestürzten sich kurz in die Augen sahen.
    „Sie müssen …“, sagte Dorle verschämt zu dem Mann. Der löste sich schnell von ihr, stand auf und reichte ihr die Hand, die sie erst nach einem kurzen Zögern ergriff und sich hochziehen ließ.
    „Entschuldigen Sie“, sagte er verlegen, während Dorle sich bückte, um ihren Schirm wieder an sich zu nehmen.
    „War ja meine Schuld“, wiegelte sie ab.
    Sie war unruhig und nervös. So nahe war sie schon seit langem keinem Mann mehr gewesen. Und es war ihr nicht einmal besonders unangenehm. Außer dem peinlichen Sturz natürlich. Sie wusste, dass sie noch lange die Sprüche und Anzüglichkeiten der anderen Frauen würde ertragen müssen.
    Unschlüssig blieb sie an der Tür stehen, während der Mann zu Gerda und ihren Kundinnen ging und dabei sein linkes Bein ein wenig nachzog.
    „Paul Koch, Kommissar“, hörte sie den Mann sich vorstellen. „Keine Angst, ich habe nur ein paar Fragen“, sagte er mit beruhigender Stimme. „Sie kannten doch den Peter Gerber?“
    „Der Arme“, erwiderte Gerda.
    Als der Name Peter Gerber fiel, zuckte Dorle zusammen. Schnell schlüpfte sie durch die Tür auf die Straße. Obwohl es noch immer regnete, öffnete sie ihren Schirm nicht, sondern entfernte sich so schnell wie möglich von dem Laden mit den kärglich gefüllten Regalen und diesem Kommissar.
    In ihrem Kopf

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