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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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zusammengezuckt, weil sie glaubte, dass dieser Polizist zu ihr käme, um sie mitzunehmen. Mit jedem weiteren Tag jedoch verschwand der Mann immer mehr aus ihren Gedanken und damit die Angst vor der Verhaftung. Nur der Blick, mit dem er sie angesehen hatte, der blieb ihr in Erinnerung. Und sein Geruch.
    Aber wäre es so schlimm, wenn man sie verhaften würde? Wenn sie ihrer Strafe zugeführt werden würde? Was hatte sie zu verlieren? Nichts! Sie hatte ja schon alles verloren. Nichts war ihr mehr geblieben, nur das Häuschen, in dem Hans-Joachims Eltern und er selbst aufgewachsen waren. Aber jetzt war kein Leben mehr in dem kleinen Anwesen. Sie selbst war zu einer müden, ausgehungerten Frau geworden, ohne Energie, ohne Lebenslust. Viel zu oft hatte sie in den letzten Tagen daran gedacht, sich selbst umzubringen. Aber das konnte sie nicht. Das war die größte, die schlimmste Sünde. Sie konnte zur Polizei gehen und sich stellen. Bestimmt hätte man Verständnis für sie. Ohne Mann, mit einem schwer verletzten Sohn. Für den hatte sie diese schreckliche Tat begangen, weil Peter ihr nichts von seinen Vorräten geben wollte. Und er hatte sie angefasst, wollte sie …
    Der Gedanke an Hans-Joachim verhinderte dies. Ihm war immer wichtig gewesen, was die Leute über ihn und seine Frau und seine Familie dachten. Es würde ihn umbringen, wenn er seine Frau im Gefängnis vorfinden würde. Schließlich waren sie verheiratet. Bis dass der Tod euch scheidet, in guten wie in schlechten Zeiten, hatte der Pfarrer bei der Hochzeit gesagt, und sie hatte dem freudig zugestimmt. Jetzt waren die schlechten Zeiten und da konnte sie ihren Mann nicht im Stich lassen. Sie hatte in der Stadt die Männer gesehen, die aus der Gefangenschaft zurückgekommen waren und sie hatte deren schrecklichen Geschichten über die Lager in Russland gehört. Hans-Joachim würde sie brauchen, wenn er wieder nach Hause käme. Wie er wohl aussah? Abgemagert? Verwundet? Sie stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er wieder im Haus wäre. Es fiel ihr schwer, und Dorle bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie bei dem Gedanken keine unbändige Freude empfand. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich seine Rückkehr wünschte. Und das nagte an ihr. In guten wie in schlechten Zeiten, hatte der Pfarrer gesagt.
    Schnell zog Dorle sich die Decke über den Kopf. Und wartete, dass diese Gedanken verschwanden. Spät in der Nacht wachte sie auf, fror trotz der Decke, stand auf und ging in den Keller und kniete sich neben Rolfs Leichnam. Aber auch zum Beten fehlte ihr jetzt die Kraft.
    In den letzten Tagen hatte es mehrmals an ihr Tor geklopft. Einmal hatte sie Neubert rufen hören. Gespielt besorgt klang er. Sie reagierte nicht, wartete, bis er endlich gegangen war. Dieses Mal war es die Stimme der alten Elisabeth, die über die Mauer und über den Hof zu ihr auf dem Sofa drang. Elisabeth hatte ihren Mann schon im Ersten Weltkrieg verloren und drei Söhne durchgebracht, nur damit diese einer nach dem anderen im nächsten Krieg umkamen.
    „Komm her, Dorle!“, forderte sie. „Mach auf!“
    Sie ließ nicht locker, wiederholte ihr Rufen, bis Dorle schließlich nachgab.
    Müde und matt erhob sie sich von dem Sofa und schlich zur Tür. Sie hatte kaum die Kraft, den Riegel zur Seite zu schieben.
    „Siehst nicht gut aus, Dorle“, rief die Alte ihr entgegen, als Dorle noch ein paar Meter entfernt war.
    Dorle nickte stumm zur Antwort.
    Die alte Elisabeth bückte sich und griff in den Korb, der neben ihr stand, entnahm ihm zwei Kartoffeln und hielt sie Dorle entgegen.
    „Nimm! Du musst essen!“
    In einem ersten Reflex wollte Dorle ablehnen, aber nach kurzem Zögern nahm sie die beiden dunklen Kartoffeln.
    „Danke!“, sagte sie kurz.
    „Der arme Peter“, sagte Elisabeth.
    Dorle verstand nicht sofort.
    „Der ist tot. Hast du das noch nicht gewusst?“
    „Doch, doch“, antwortete Dorle matt.
    Elisabeth sprach einfach weiter. „Als wenn es nicht reicht, dass die Männer im Krieg sterben. Jetzt bringt man sie auf ihren eigenen Höfen um.“
    „Hat man … weiß man schon wer …?“
    Es fiel Dorle schwer, ihre Frage auszusprechen.
    „Wahrscheinlich ein Durchreisender. Hatte Hunger. Peter hat ihn wahrscheinlich erwischt, als er das Tor zur Scheune aufbrechen wollte.“
    Dorle wollte das nicht so genau wissen. Jedes einzelne Wort der alten Elisabeth erinnerte sie an ihre Tat. Die Alte missverstand ihr Schweigen.
    „Erstochen hat ihn sein Vater gefunden, als er aus dem

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