Unter Trümmern
Brunner in den Mittelpunkt meiner Ermittlungen zu stellen.“
„Das haben Sie alles in Ihrem Bericht geschrieben. Das müssen Sie nicht noch einmal wiederholen, Koch. Aber wie Sie richtig sagen, es sind Indizien, keine Beweise. Und noch nicht einmal überzeugende Indizien. Der Mercedes war ein vor dem Krieg viel verkaufter Wagen und der Zeuge ist zum einen nicht mehr da, zum anderen hat er seine Aussage unter Druck gemacht. Für das, was seine Angestellten außerhalb ihrer Arbeitszeit machen, können wir Brunner nicht zur Verantwortung ziehen. Eine Möglichkeit, ja, das ist es, Koch, aber ich will, dass Sie auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Haben Sie verstanden? Andere Möglichkeiten. Nur weil einer der Partei nahe gestanden und daraus vielleicht Vorteile gezogen hat, macht das aus ihm noch keinen Schwerkriminellen und Bandenführer. Wenn wir nämlich so ermitteln, sind wir nicht besser als die Nazis. Und das wollen wir doch sein.“
Was für ein dummer Vergleich! Koch verkniff sich eine Replik.
„Im Moment gibt es keine andere Spur, Herr Arnheim“, sagte er schließlich.
„Dann finden Sie eine, Koch, suchen Sie, ermitteln Sie. Das ist Ihr Beruf. Dafür sind Sie ausgebildet worden. Ich will keine vorschnellen Ergebnisse, bei denen sich später herausstellt, dass sie jeder Grundlage entbehren. Wir müssen Vorbild sein, Koch.“
Im Flur trat Koch gegen einen Eimer, der laut scheppernd umfiel und seinen Inhalt über den Boden ergoss.
„Na, der ist aber sicher unschuldig“, sagte hinter ihm eine bekannte Stimme.
Koch drehte sich um und sah in das Gesicht von Reuber.
„Ärger?“
Koch nickte.
„Arnheim?“
Er nickte nochmals.
„Kommen Sie!“
Koch folgte dem Kollegen in dessen Büro, der dort eine Flasche aus einer der Schubladenschränke unter seinem Schreibtisch zog, zwei Gläser auf den Tisch stellte und sie jeweils halb mit einer bräunlichen Flüssigkeit füllte.
Bevor er eines davon Koch zuschob, steckte er sich eine Zigarette an.
„Cheers“, prostete er seinem Besucher zu.
„Prost!“, erwiderte Koch kühl und roch, bevor er einen Schluck nahm, an seinem Glas.
„Whiskey. Bourbon“, sagte er, nachdem er sein Glas auf die Schreibtischplatte gestellt hatte.
„Richtig. Das Geschenk eines amerikanischen Lieutenants, bevor er letzten Sommer die Stadt verlassen hat. Die Amis liegen mir mehr als die Franzosen.“
Beide Männer tranken nochmals.
„Was wollte Arnheim?“, fragte Reuber schließlich.
Koch ließ sich Zeit mit der Antwort. „Wenn ich das wüsste“, sagte er schließlich. „Er behindert meine Ermittlungen. Behindert sie so sehr, dass ich denken muss, dass er mit Brunner unter einer Decke steckt. Wirft mir ständig Nazi- oder Gestapomethoden vor. Was soll das?“
„Sagt Ihnen der Begriff Projektion was?“
„Kino. Film“, entgegnete Koch, „aber ich fürchte, das ist nicht das, was Sie hören wollen.“
„Volltreffer. Es ist ein Begriff aus der Psychoanalyse. Man überträgt das, was man an sich selbst nicht mag, auf einen anderen.“
„Der andere bin ich?“, fragte Koch kopfschüttelnd.
Reuber musste grinsen.
„Auch wenn Sie das nicht glauben wollen, so ist es. Sie haben eine astreine antifaschistische Vita. Die hätte Arnheim auch gerne.“
„Hat er aber nicht, nehme ich an.“
„Ja, aber nicht in dem Sinne, wie Sie das jetzt wahrscheinlich glauben, und wie das bei vielen anderen Menschen in Deutschland der Fall ist. Ich kann es Ihnen auch nicht genau sagen, weil ich dafür zu wenig über Arnheim weiß.“
Koch war gespannt, was Reuber ihm nun erzählen würde. Dieser machte es spannend, zündete sich eine weitere Zigarette an und trank einen Schluck von seinem Whiskey.
„Arnheims Vater war schon früh in der Partei, ein überzeugter Nazi der ersten Stunde. Niedrige Mitgliedsnummer. Und ist schnell aufgestiegen. Ich glaube, Mitarbeiter oder Sekretär eines Gauleiters in der Ostmark. Während der Sohn in der Jugend mit den Sozialdemokraten sympathisierte. Hatte auch Kontakte zu Kommunisten. Die beiden hatten nichts miteinander zu tun, bis, ja, bis Bernd Arnheim verhaftet wurde. Ich weiß nicht, wegen was. Es reichte ja schon die Parteizugehörigkeit. Vielleicht hat er Plakate geklebt. Egal. Er wurde verhaftet. Mit drei anderen Genossen. Schnellverfahren. KZ. Papa Arnheim erfährt davon, da kommen doch Vatergefühle hoch …“
„Oder Angst um den eigenen Aufstieg. Ein verhafteter Sozi in der eigenen Familie … das kann innerparteiliche
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