Unter Trümmern
Bahnhofsgebäude standen die Menschen in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten, immer wieder liefen Leute mit voll gepackten Rucksäcken vorbei, stießen andere an, die sich beschwerten, laut wurden und fluchend weitergingen. Wieder andere zogen kleine Leiterwagen hinter sich her, die Waren darauf mit Tüchern bedeckt, damit sie keinen Neid erregten oder Diebe anzogen. Und dazwischen die Krüppel. Männer, denen ein Bein, ein Arm, manchmal beides, fehlte, die ihr Augenlicht verloren hatten. Koch versuchte das zu übersehen, die schrecklichen Folgen des Krieges zu ignorieren. Frauen liefen mit Pappschildern umher, die sie an Holzstiele genagelt hatten, und auf denen die Namen der vermissten Verwandten standen, ihr letzter Rang in der Wehrmacht, der Wohnort und von wo sie zuletzt eine Nachricht der Vermissten erhalten hatten.
Im Innern des Bahnhofs liefen noch mehr Menschen umher, es war ein großes Gedränge, das von einem unverständlichen, vielstimmigen Lärm, der wie eine Wolke über den Menschen lag, begleitet wurde. Koch spürte, dass ihn das nervös machte und er nur noch schnell weg wollte. Nun kam noch die Sehnsucht nach Ruhe dazu, der Gedanke an die schmalen Feldwege, dorthin, wohin kein Mensch kam. Oder an einen einsamen Strand, wo er sitzen und stundenlang aufs Meer schauen konnte, im Ohr nur das Schlagen der Wellen gegen die Steine am Ufer.
Schlecht gelaunt drängte sich Koch durch die Menge und suchte einen Aushang mit dem Fahrplan. Vor einer Wand hatte sich eine besonders große Traube Menschen versammelt, in der Mehrzahl waren es Frauen. Namen wurden gerufen, ein Ortsteil oder ein Vorort von Mainz. Diese Frauen suchten nach ihren Männern, Brüdern oder Vätern und hofften, auf der Wand, auf der durchreisende Soldaten die Nachrichten von Kameraden hinterließen, irgendeinen Hinweis auf ihre Verwandten zu finden.
Am Durchgang zu den Bahnsteigen entdeckte Koch einen handgeschriebenen Fahrplan. Der einzige Zug an diesem Tag in Richtung Paris fuhr in einer halben Stunde. Er wandte sich ab, um am Schalter eine Fahrkarte zu kaufen. Dabei streifte sein Blick wieder den Menschenauflauf vor der Wand mit den Zetteln. Eine Frau fiel ihm auf. Zuerst waren es nur ihre dicken blonden Haare, die zu einem Knoten zusammengebunden waren. Er konnte sie nicht zuordnen, doch als sie für einen kurzen Moment ihren Kopf umwandte und er ihr Profil sehen konnte, erkannte er, dass es die Frau aus der Bäckerei war.
Wen suchte sie hier?, schoss es Koch durch den Kopf. Der Gedanke, dass es ihr Mann sein könnte, schmerzte ihn viel mehr, als er sich eingestehen wollte. Mit einem Mal war er aufgeregt. Er trat ein Stück zur Seite, heraus aus dem Strom der hin und her laufenden Menschen. Was sollte er machen? Sie ansprechen? Ob sie sich an den Zwischenfall in der Bäckerei noch erinnerte? Sicher wäre es ihr peinlich, den Mann wieder zu treffen, der sie so plump umgerannt hatte. Koch stellte sich auf die Zehenspitzen, um den blonden Schopf nicht zu verlieren, der ständig in der Menge untertauchte. Ein Mann, der eilig vorbeilief, stieß gegen ihn.
„Können Sie nicht aufpassen?“, rief er ihm hinterher, schon wieder auf der Suche nach der Frau. Dabei wurde er ständig angerempelt. Mal war es einer dieser übergroßen Rucksäcke, das nächste Mal eine Tasche oder ein Fuß.
Kurz ragten die blonden Haare aus der Menge, um gleich darauf zu verschwinden. Koch versuchte sich die Stelle zu merken, ging zwei, drei Schritte vor. Sie drehte sich kurz zu ihm um, ihre Blicke begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde. Er zwängte sich durch die Menschenmenge vor ihm, versuchte die Frau nicht aus den Augen zu verlieren und sah den Mann mit dem Pappkoffer in der Hand nicht, der ihn zu Boden riss. Sein eigener Koffer fiel ihm dabei aus der Hand.
„Kannste nicht aufpassen?!“, fauchte ihn der Mann an. Mehrere junge Männer, die hinter ihm hergelaufen waren, bildeten sofort einen Kreis um Koch.
„Idiot!“, schnauzte der Kommissar zurück.
„Was hast du gesagt?“ Der fremde Mann war stehen geblieben. „Sag das noch mal!“
„Idiot!“, zischte Koch, der sofort wieder aufgestanden war.
Die jungen Männer schlossen ihren Kreis enger um ihn.
„Pass auf! Du entschuldigst dich jetzt, sonst …“ Er sah kurz in die Runde.
Koch zählte durch. Es waren fünf junge Kerle, mit dem älteren sechs, sie machten alle einen kräftigen Eindruck.
„Ich warte!“, forderte der Ältere.
Einer der jungen Männer trat aus der Gruppe
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