Unter Trümmern
das ist nicht die einzige Flasche.“ Reuber klopfte mit den Händen auf die Taschen seines Mantels. „Riesling von der Mosel.“
Ohne Kommentar nahm Koch den Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Haustür und ging hinein, ohne darauf zu achten, ob Reuber ihm folgte.
„Wo haben Sie denn Gläser, Koch?“, fragte Reuber, als sie in der Wohnung waren.
„In der Küche.“ Er zeigte ihm die Richtung an.
Koch setzte sich im Wohnzimmer auf einen Sessel und hörte aus der Küche das ploppende Geräusch, als Reuber eine Flasche entkorkte.
„Ich hoffe, dass Sie die nicht auf dem Schwarzmarkt gekauft haben“, empfing er Reuber, als der mit der geöffneten Flasche und zwei Gläsern ins Zimmer kam.
„Schlimmer. Die eine ist aus der Asservatenkammer“, er hielt kurz inne, um die Gläser zu füllen, „und die anderen sind Bestechungsgelder. Aber ich rate Ihnen, Koch, so was nie in der eigenen Wohnung zu verstecken.“
Er grinste Koch dabei so frech an, dass der spürte, wie etwas von seiner Anspannung von ihm abfiel.
„Im Ernst, Koch“, sagte Reuber, während er sein Glas an die Nase führte und daran roch, „ein Großonkel von mir ist Winzer und lässt mir ab und zu eine Kiste zukommen. Er ist zum Glück keiner von diesen geizigen Verwandten, die die eigene Sippe lieber verhungern lassen als ihnen etwas abzugeben.
„Zum Wohl, Koch!“ Reuber hielt dem Kollegen sein Glas entgegen. Der zögerte einen Moment, dann stieß er an.
„Ich habe Sie heute im Büro vermisst und fürchtete schon, dass Sie die Schnauze voll haben und abgehauen sind. Wohin auch immer.“
Koch betrachtete den Mann.
„Ich könnte Sie verstehen. Aber ich fände es sehr schade.“
Koch schwieg weiter.
„Ich glaube, dass ich das schon einmal gesagt habe, aber ich wiederhole es nochmals, Koch. Arnheim ist ein verbitterter Mistkerl, aber die gab es früher auch überall. Aber Leute wie Sie brauchen wir. Und zwar heute. Sonst muss ich mir nämlich auch überlegen zu gehen. Die Sache mit dem Wein war eine Falle, um Sie bloßzustellen. Ich weiß das und Falter weiß das auch. Und Arnheim auch. Dass man jetzt nicht gleich zur Tagesordnung übergehen kann, ist doch klar. Und Falter hat im Gespräch durchblicken lassen, dass er nichts dagegen hätte, wenn Sie weiterhin ein Auge auf Brunner haben.“
Koch nickte. „Ich weiß“, sagte er endlich und nahm einen Schluck von seinem Moselwein.
„Gut“, war sein Kommentar. „Ein guter Wein.“
Ein Lächeln huschte über Reubers Gesicht. „So gefallen Sie mir schon besser. Was haben Sie denn heute gemacht? Nachwehen?“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die leere Flasche.
„Ich habe das Wochenende wie im Rausch erlebt.“
Reuber lachte.
„Heute war mir nicht nach Büro.“
Reuber lachte wieder. „Ja klar, das sind die neuen Zeiten. Wer keine Lust zu arbeiten hat, geht einfach nicht hin.“
„Können Sie auch mal ernst sein?“ Koch klang tatsächlich ungehalten.
„Die Dinge nicht ganz so ernst zu nehmen, Koch, hat auch etwas mit Überleben zu tun. Wie sonst wollen Sie eine einigermaßen klare Birne behalten? Wie hieß es bei der diesjährigen Fastnacht so richtig: ‚Lache unter Tränen‘.“
Koch schwieg.
„Keine Antwort ist oft besser als irgendeine“, sagte Reuber und füllte die Gläser.
„Darf ich?“, fragte er, während er eine Schachtel amerikanischer Zigaretten aus seiner Hosentasche zog und Koch eine anbot.
Koch schüttelte den Kopf und warf einen genauen Blick auf die Schachtel.
„Amerikanische, Probleme damit?“ Reuber zündete sich die Zigarette an und inhalierte tief. Er hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, es schien, als wolle er sie zerquetschen.
Koch schüttelte den Kopf. Er wurde aus dem Mann nicht ganz schlau. War er ein Opportunist? War er besonders clever? Ein Zyniker? Oder einfach ein Pragmatiker?
Er stand auf und zog den Vorhang vors Fenster, um so den kühlen Luftstrom, der durch die morschen Rahmen in die Wohnung zog, zu unterbinden.
„Was haben Sie denn gemacht?“
Koch überlegte. Ihm gefiel die direkte Art seines Kollegen, aber sie überforderte ihn auch bisweilen, vielleicht war es auch nur sein Misstrauen, das er nicht ablegen konnte.
„Ich war am Bahnhof.“
„Eine Reise? Zum Wohl!“ Er nahm sein Glas, deutete ein Anstoßen an und trank.
Koch tat es ihm nach.
„Mir war nach Frankreich.“
„Zur Familie?“
Koch zögerte einen Moment mit der Antwort. „Habe es mir anders überlegt.“
„Gut.“ Reuber
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