Unter Trümmern
hohen Preis dafür bezahlen.
„Arrêtez!“ „Aufhören! Hören Sie auf!“
Er wurde an den Armen gepackt und von dem Mann gerissen. Vier kräftige Arme hielten ihn am Boden.
„Mensch, Herr Koch, es ist vorbei!“
Es dauerte einige Sekunden, bis die Worte zu dem Kommissar durchdrangen.
Verwundert sah er in das Gesicht eines Mannes in Uniform. Der Grenzpolizist nickte ihm zu. Jetzt erkannte Koch den Kollegen, den er kennen gelernt hatte, als er im Januar zu einer Wasserleiche gerufen worden war, die in der Nähe des Winterhafens ans Ufer geschwemmt worden war.
Die zwei Männer, die Koch gehalten hatten, ließen ihn los. Er setzte sich auf und sah sich um. Der Kreis hatte sich schon aufgelöst, die Menschen liefen wie bei seiner Ankunft hin und her, nur vereinzelt blieb mal jemand stehen, sah kurz neugierig zu ihm herüber und verschwand sogleich. Von den Männern, mit denen er sich geprügelt hatte, war nichts mehr zu sehen.
„Allez!“, forderte der französische Militärpolizist Koch auf ihm zu folgen. Er erhob sich nun, strich sich mit beiden Händen durch die Haare und blickte zu der Wand mit den Zetteln herüber. Die Frau mit den blonden Haaren konnte er nicht sehen.
Der Franzose wiederholte seine Aufforderung.
„Je suis un commissaire, mon coporal“, erklärte Koch und erhielt auf diese Aussage einen verwunderten Blick. Der Militärpolizist sah zu dem Grenzpolizisten, der Koch mit Namen angesprochen hatte.
Der radebrechte: „Oui, il ist ein … un gendarm. Police criminal.“
„Passeport!“, forderte der Franzose. Skeptisch betrachtete er die Papiere, die Koch mühsam aus seiner Jacke fummelte und ihm entgegenhielt.
„Mitkommen!“, forderte er auf Französisch.
Ob das denn notwendig wäre, fragte Koch und erhielt einen zornigen Blick zur Antwort, der seine Frage sehr deutlich beantwortete.
Der Grenzpolizist, den Koch Hilfe suchend ansah, zuckte mit den Schultern. Koch fiel sein Koffer ein, den er bei dem Handgemenge verloren hatte. Schnell schaute er sich um. Er konnte ihn nicht entdeckten. „Merde!“, fluchte er stumm in sich hinein.
Sie gingen in ein kleines Büro, das in einem zugigen Raum untergebracht war, in dem nur ein wackeliger Schreibtisch und ein Stuhl standen. An der Wand hingen Bilder von General de Gaulle und von Pierre Koenig in Goldrahmen. Dort musste Koch den Vorfall zu Protokoll geben und unterschreiben. Damit war er entlassen.
Sein erster Weg führte ihn zurück in die Bahnhofshalle, zu der Wand mit den Zetteln, wo er langsam an den Suchenden entlang ging, aber die Frau mit den dicken blonden Haaren war nicht mehr dort.
Der einzige Zug, der an diesem Tag in Richtung Westen fuhr, hatte den Hauptbahnhof Mainz schon vor einer halben Stunde verlassen. Langsam schritt er nach draußen und stellte sich in die schon sehr tief stehende Nachmittagssonne, die den Vorplatz erwärmte.
Irrsinn, dachte er bei sich, während er da stand, den Kopf in den Nacken gelegt, um die Sonne mit seinem Gesicht einzufangen, die Idee, nach Frankreich zu fahren. Dass er einen Passierschein brauchte, daran hatte er gar nicht gedacht.
Das Hupen eines Wagens riss ihn aus seinen Gedanken. Nichts hatte sich seit heute Morgen geändert. Er hatte keine Entscheidung getroffen, er war noch immer in Mainz, er war noch immer Polizist. Müde machte er sich auf den Rückweg in seine Wohnung. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und es begann zu dämmern. Sofort wurde es kühler.
Er verspürte fast so etwas wie Sehnsucht nach Bresson, nach einem Abend ohne Worte und mit Alkohol, der ihn langsam aus dieser Welt in eine andere tragen würde. Aber es war noch zu früh und ob der Nachbar nach dem Vorfall noch Interesse an einem Trinkgelage mit ihm haben würde, bezweifelte Koch. Und er selbst wusste ja auch nicht, was er von einem Mann halten sollte, der offenbar seinen Unterhalt mit pornographischen Bildern verdiente.
Koch war so sehr mit sich beschäftigt, dass er den Mann, der vor seinem Haus stand und ihm schon von Weitem mit einer Flasche zugewunken hatte, erst bemerkte, als er fast vor ihm stand.
„Reuber?!“, stieß er hervor.
„Freude sieht anders aus, Koch!“, entgegnete der. „Ich habe sie heute vermisst.“
„Da waren Sie wahrscheinlich der Einzige.“
„Gute Laune sieht auch anders aus. Was halten Sie davon, wenn wir reingehen. Die Sonne ist zwar aus ihrem Winterschlaf erwacht, aber das heißt noch nicht, dass es Sommer ist. Also?“
Koch war unschlüssig.
„Keine Angst, Koch,
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