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Unter Trümmern

Unter Trümmern

Titel: Unter Trümmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Heimbach
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trank wieder einen kleinen Schluck. „Warum haben Sie Ihre Familie verlassen?“
    Koch ließ sich Zeit, bis er antwortete. „Heute sind Sie dran, Reuber.“
    Der sah sein Gegenüber erstaunt an.
    „Ich habe Ihnen beim letzten Mal schon eine Menge aus meinem Leben erzählt.“
    „Bereuen Sie’s? Hört sich so an.“
    Koch schüttelte den Kopf.
    „Also gut, was wollen Sie hören?“
    Koch nahm sein Glas und trank.
    „Was haben Sie im Krieg gemacht? Es heißt, Sie wären nur knapp der Erschießung entkommen.“
    Reuber lachte kurz auf und Koch schien, dass er noch fester auf den Filter seiner Zigarette drückte. Er nahm einen Zug und drückte die Kippe aus.
    „Einfacher geht’s nicht?“
    Koch schüttelte wieder den Kopf.
    „Gut. Die Heldenvariante oder die … andere?“
    „Beide. Aus Ihrem Mund.“
    „Also. Zuerst die andere. Ich gehörte einer Atellerieeinheit an. In den Ardennen. ’44. Mannschaftsstärke …“, Reuber machte eine Pause, dachte nach, „… allenfalls noch dreißig bis vierzig Prozent, mehr nicht. Wir haben den Kontakt zu den Nachbareinheiten verloren, merken, dass der Gegner an uns vorbeigezogen ist.“ Er steckte sich eine neue Zigarette an. „Einer von uns, wir sind noch sechs Mann, schlägt vor, uns zu ergeben. Der Krieg wäre sowieso bald vorbei. Und die Einheiten vor uns sind Amis. Amerikanische Gefangenschaft, heißt es, ist okay. Die lassen keinen verhungern, keine Zwangsarbeit in sibirischen Minen. Der Kompaniechef hört sich das an. War immer ein ganz Ruhiger und Besonnener. Als der Mann fertig ist, steht er auf, ganz ruhig, geht zu ihm, wir denken alles Mögliche, aber nicht, dass er plötzlich seine Dienstpistole zieht und dem Mann in den Kopf schießt. Völlig ungerührt. Und dann dreht er sich um, noch immer die Waffe in der Hand, und fragt uns, ob noch jemand sich ergeben will. Alle schütteln den Kopf. Gut, sagt der Kompaniechef, dann verscharrt den Mann. Wir müssen den Feind zurückwerfen. Baut Schanzen. Wir machen das auch brav und als wir fertig sind und ihm Meldung machen wollen, ist der Scheißkerl weg.“
    „Und? Haben Sie ihn nach dem Krieg gesucht?“
    Reuber lachte das für ihn typische kurze, abgehackte Lachen. „Wo denn? Und Koch, was glauben Sie denn, wie viele solche Kerle rumlaufen. Hat doch jeder zugesehen, dass er irgendwie durchkam.“
    „Aber das war Mord!“
    „Mord, klar. Aber was unterscheidet den von den Millionen anderer? Ist nicht der Krieg an sich das Verbrechen? Der Krieg, der aus den Menschen solche Monster macht? Ich bin froh, Koch, wenn ich meine Dämonen im Zaum halten kann.“
    Koch senkte seinen Kopf, sah kurz auf, nahm sein Weinglas und trank. Reuber hustete und drückte seine Zigarette aus.
    „Und die andere?“
    „Ich wollte desertieren, hatte keine Lust mehr auf Krieg. Wollte meinen Kopf nicht für diese Heuchelei von Vaterland und Führer hinhalten. Hab zu viel geredet. Ist immer schlecht. Am besten macht man so was, vielleicht auch alles, einfach alleine. Kann auch keiner einen verraten. Schnellgericht, Urteil: Exekution. Sofort. Man stellt mich vor eine Mauer, das Erschießungskommando zehn Meter weg, dahinter der Richter, der Kompaniechef und die anderen Jungs. Das Erschießungskommando hat schon angelegt, da kracht eine Granate ein kleines Stück hinter der Gruppe rein. Alle tot, ich hatte nur ein paar Schrammen. Tja, ich habe meine Kennmarke einem der anderen Soldaten untergeschoben, mir seine genommen und irgendwie überlebt.“
    „Aber Sie sind Reuber?“
    Er lachte wieder, kurz, abgehackt, bevor er antwortete. „Natürlich, Koch. Meinen Ausweis habe ich versteckt und später wiedergeholt. Ich bin bei einer Familie in der Eifel untergekommen, bis der Krieg vorbei war.“
    Reuber leerte sein Glas in einem Zug und steckte sich gleich wieder eine Zigarette an.
    „Und nun Sie!“, sagte er, und sah Koch auffordernd an.
    „Heute nicht. Außerdem, Reuber, woher soll ich wissen, dass Sie die Wahrheit gesagt haben?“
    Reuber lachte kurz und zündete sich eine Zigarette an.
    „Immerhin haben Sie die Wahl.“
    „Zwischen zwei Lügen?“, konterte Koch.
    „Ist in dieser Zeit nicht alles eine Lüge? Auch die Wahrheit?“ Reuber nahm zwei schnelle Züge. „Sie sollen ungerne Auto fahren. Selbst fahren, meine ich. Stimmt das?“
    „Heute nicht“, wiederholte Koch, und Reuber erkannte an seinem Blick, dass er von seinem Kollegen an diesem Abend nichts erfahren würde.
    Dieses Spiel wiederholten sie eine Weile, Reuber

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