Unterm Messer
Gefühl habe, dass das Gespräch beendet ist, gehe ich zur Tür und lausche in den Gang hinaus. Niemand zu hören. Dann ziehe ich den Schlüssel ab, öffne die Tür vorsichtig. Niemand zu sehen. Ich klopfe so leise wie möglich bei Vesna. Wenn die Polizeibehörden sogar die Nummer ihres Ersatztelefons kennen, vielleicht hören sie uns dann auch ab. Vesna kommt sehr rasch und öffnet. Ich sperre mein Zimmer zu und schlüpfe in ihres.
„Woher weißt du ...“ beginnt sie verblüfft.
„Mir hat er gesagt, dass Schwester Gabriela mit mir reden will“, flüstere ich.
„Fran? Woher kennt der die? Hast du schon geschlafen?“ Offenbar glaubt sie, dass bei mir schön langsam Traum und Wirklichkeit durcheinanderkommen. Den Eindruck habe ich zwar selbst schon ein paarmal in der letzten Zeit gehabt, aber: „Dich hat Fran angerufen?“
„Ja, natürlich. Er hat sich Festplattenkopie von Laptop gerade noch einmal angesehen. Sagt, sieht so aus, da war schon jemand anderer in Computer. Hacker oder so. Das hinterlasst Spuren, wenn man nicht ist sehr vorsichtig. Vielleicht Spionage. Hinter Substanzen zu Lebensverlängerung sind viele her. Vielleicht auch hinter Forschungen für Kampfmenschen.“
Traue ich es Schwester Gabriela zu, dass sie Daten von einem Laptop kopiert? Ja. Tue ich. Und Schwester Cordula: Die war erst achtunddreißig, sie hat sicher schon während des Studiums am Computer gearbeitet. Jetzt erzähle ich Vesna von dem Anruf, der mich erreicht hat.
Fünf Minuten vor elf stehe ich vor der Landesnervenklinik Sigmund Freud. Das Eingangsgebäude ist mit riesigen Buchstaben in Kurrentschrift geschmückt. Auszüge aus einem Brief des Begründers der Psychoanalyse. Ich kann die Worte nicht entziffern. Geht vermutlich mehreren so, die hier eintreten. Ich weiß inzwischen mit einiger Sicherheit, dass Grünwald in der vergangenen Nacht keinen Tantenbesuch gemacht hat. Vesna hat aufgepasst. Das wird auch heute ihre Aufgabe sein: Aufpassen, ob sich rund um die Pension der Tante und den Bauernhof etwas tut. Wir wollen nicht noch einmal riskieren, dass sie quasi unter unseren Augen ein Labor samt Mäusen verschwinden lassen. Die Forscher haben wir beim heutigen Frühstück übrigens nicht gesehen. In der Nacht standen ihre Autos allerdings auf dem Parkplatz. Ich weiß, dass Natalie Veith gut angekommen ist und ein Quartier nahe der ,Beauty Oasis‘ gefunden hat. Ich sehe auf die Uhr. Jetzt hat Karl Simatschek schon fünf Minuten Verspätung. Und was, wenn unser Treffen hier doch eine Art von Falle, von polizeilicher Finte ist? Traue ich das dem Gerichtsmediziner zu? Hätte ich Grünwald mehr zugetraut, als Patientinnen aufzuschneiden, aufzufüllen, abzusaugen, anzuätzen und damit eine Menge zu verdienen?
Endlich. Karl Simatschek scheint keinen Stress zu haben. Richtig gemächlich biegt er in den Parkplatz ein, hält, steigt aus.
Oh, sorry, er habe einfach ein Problem, pünktlich zu sein. Stimme schon, schneller Autofahrer sei er keiner, er wolle nicht nackt vor seinen Kollegen auf dem Tisch liegen. War das jetzt der berüchtigte Gerichtsmedizinerhumor?
Wir gehen durch das Eingangsgebäude. Dahinter gesichtslose Häuser. Wenn man einmal hier war und es geschafft hat, wieder fortzukommen, kann man zumindest die Bauten sehr schnell vergessen. Wenig später haben wir den Leiter der Neurologie an unserer Seite. Er selbst will uns zu Schwester Gabriela bringen. Bei ihnen gebe es ja so einiges, aber so etwas sei eigentlich noch nie vorgekommen: Dauerbeten. Ich sehe mich auf unserem Weg vorsichtig um. Es ist ruhig, der Gang ist hell. Keine Irren, die herumgehen und einen anstarren. Kein Stöhnen hinter den Türen, kein Schreien. Oder sind die alle niedergespritzt? Mira, allein dieser Gedanke ist alles andere als politisch korrekt. Sollte ich Karls Studienkollegen wohl doch nicht fragen. Jedenfalls nicht so direkt, wenn ich tatsächlich zur Nonne vorgelassen werden will. Zwei ältere Männer im Rollstuhl kommen uns entgegen, sie sind auf sich konzentriert, sehen uns nicht an.
„Was behandeln Sie hier üblicherweise?“, frage ich meine beiden Begleiter leise.
„Wir sind spezialisiert auf Schlaganfälle, in der Sonderabteilung haben wir zwei Drittel Patienten, die nicht ohne fremde Hilfe gehen können. Und wir checken mittels neurophysiologischem Monitoring, inwieweit Hirn- und Nervenströme funktionieren. Hier sind es nicht so viele, die einen Rollstuhl brauchen. Aber es ist doch recht häufig, dass mit Hirnfunktionen wie
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