Unterm Messer

Tourismusbeamten und an der Finanz vorbeizuleiten, gehört wohl einfach dazu. Ein Glück für mich. „Mira Kellerfreund“ gefällt mir nicht. Es war immer klar, dass ich bei der Hochzeit meinen Namen behalte.
    Wir haben mit Nat beratschlagt, wo Grünwald weitere Forschungsergebnisse versteckt halten könnte. Sie kennt ihn doch um einiges besser als wir und hat seine „Geheimniskrämerei“ selbst miterlebt. Bloß: Die Schönheitsklinik ist mehr als groß. Dazu kommt das Gelände seiner Irmi-Tante-Freundin, vielleicht auch noch der Bauernhof. Gar nicht zu reden davon, dass die beiden Wissenschaftler, die nach Mittelamerika geschickt wurden, einiges mitgenommen haben könnten. Datenträger werden immer kleiner. Auf einen USB-Stick mit sechzehn Gigabyte geht eine Menge an Informationen drauf. Und er lässt sich in einem Brillenetui ebenso unterbringen wie in einem winzigen Spalt eines Bettgestells, eines Nachtkästchens, eines Stuhls. Die Genetikerin hat sich daran erinnert, dass sie Grünwald einmal dabei beobachtet hat, wie er eine DVD mit Forschungsergebnissen unter die Lade mit Operationsbesteck geschoben hat. USB-Sticks hat es ja damals noch nicht mit entsprechendem Speichervolumen gegeben.
    Den geklauten Laptop will die Wissenschaftlerin noch rasch in ihr Forschungszentrum bringen, dort sei er wohl am besten aufgehoben. Abgesehen davon könne sie einen ihrer Kollegen morgen früh um die genauere Auswertung der Daten bitten. Auf meine Frage, ob die Ergebnisse der Grünwald-Leute ihnen am Institut etwas brächten, hat sie mich groß angesehen: „Alles bringt irgendwas, aber ich habe nicht vor, in die Suche nach einem kommerziellen Mittel zur Lebensverlängerung einzusteigen. Großes Pfadfinderinnenehrenwort.“ Ich bin mir ganz schön dumm vorgekommen.
    Vesna holt ihr Fernglas und beobachtet vom Küchenfenster aus, was sich in der Gasse tut. Kein Hinweis auf irgendwelche Verfolger. Trotzdem war es ihr lieber, Nat fährt mit Slobo und Bruno, Vesnas bosnischen Freunden für spezielle Aufträge, ins Labor. Die beiden haben sich ein Taxi ausgeborgt, Bruno läutet, die Wissenschaftlerin geht und wir sehen sie eine Minute darauf einsteigen.
    Wir selbst sind zwei Stunden später wieder in der Abgeschiedenheit von Tante Irmis Pension. Nur dass uns das Blöken, das vom Bauernhof herdringt, heute alles andere als idyllisch vorkommt. Ja, wir hätten einen sehr spannenden Ausflug gemacht, nein, wir seien eigentlich nur müde und wollten bald schlafen gehen. Wir beantworten die Fragen der Tante kurz, freundlich und so nebulös wie möglich. Ist sie wirklich so harmlos, wie sie wirkt? Nicht einmal ich habe besonderen Hunger heute Abend. Wir trinken einen leichten Rotwein aus der Produktion ihres Bruders, gekühlt schmeckt er recht gut. Wir lassen uns von ihr Aufstrichbrote machen und sind knapp nach neun auf unseren Zimmern.
    Vesna hat vor, noch eine Zeit lang den Parkplatz zu beobachten. Bis jetzt kein weißer BMW in Sicht. Ich schreibe in meinen Laptop, was wir wissen: Zwei Morde. Genforscher mit illegalem Aufenthalt in Österreich bei Grünwald. Testreihen über Substanzen, die eine Kalorienrestriktion vortäuschen und so den Aktivitätspegel anheben und das Muskelwachstum anregen. Psy. Was versteckt sich hinter diesem Kürzel? — Was wir an Beweismaterial haben: Fotos von Labormäusen - zuerst in einem geheimen Kellerlabor, dann in dem Container in der Scheune auf einem Bauernhof in ruhiger Lage. Fotos von überaus munteren und muskulösen Schweinen und Schafen. Einen Laptop samt Forschungsergebnissen. Was wir vermuten: Geschäfte zwischen Grünwald und dem Boss von „El Centro“. Gendoping an einer Reihe von Sportlern, um Substanzen in Richtung Lebensverlängerung zu testen. Einsatz von Psychopharmaka, die - in Kombination mit Substanzen, die Aktivität und Muskelwachstum fördern - Menschen in regelrechte Kampfmaschinen verwandeln könnten.
    Und was ist, wenn mein Laptop gestohlen wird? Wenn jemand dahinterkommt, was die beiden harmlosen Touristinnen aus Wien wirklich treiben? Ich sollte die Datei auf einen USB-Stick spielen, ihn sicher verwahren und die Daten vom Computer entfernen. Dummerweise bin ich keine Computerexpertin. Und dass es mit dem simplen Löschen einer Datei nicht getan ist, habe ich ja heute erfahren. Ich spiele die Datei trotzdem auf den Stick und lösche sie auf meiner Festplatte. Gehen wir einmal davon aus, dass weder Grünwald noch die Typen aus El Salvador einen akademischen Grad in