Unterm Messer
zu schalten.
„Also komm“, sagt Vesna, wie ich trotz allem finde, viel zu laut. Jetzt geht es aufwärts und das hohe Gras bleibt an meinen Schuhen und den Jeans hängen. Dass Kletten dabei sind, merke ich, als ich versuche, ein Büschel Halme von meinem Oberschenkel zu streifen. Eklig. Die stacheligen Dinger haben sich in meiner Hose verfangen. Andererseits: Wenn ich keine größeren Probleme habe ... Vesna ist vor mir, sie klettert über eine kaum hüfthohe Begrenzungsmauer. In der untersten Etage der ,Beauty Oasis‘ brennt kein Licht. Ich keuche die letzten Schritte hangaufwärts, grätsche über die Mauer. Die ist nun wirklich auch für mich kein Hindernis. Wir stehen auf einer verwilderten Terrasse. Ganz klar, dass dieser Teil des Gebäudes nicht mehr in Betrieb ist. Irgendwo da drin muss der alte Wellnessbereich sein. Die Polizei wird auch auf der Terrasse Spuren genommen haben. Wäre naheliegend, dass der Täter von hier gekommen ist. Ich blicke die Gebäudefront entlang. Große Spiegelglasscheiben, daneben die Hausmauer mit Fenstern, weiter hinten Terrassentüren. Als Dach die nächste Geländestufe. Sehen kann man uns von den oberen Stockwerken aus kaum. Außer man klettert über die Begrenzungsmauern von Terrassen und Balkonen und geht die Hügelstufe nach vor bis zum Rand.
„Ist nur auf einer Türe Absperrband“, flüstert Vesna. „Habe ich heute schon mit Fernglas erkundet.“
„Wahrscheinlich ist alles gut verschlossen“, flüstere ich zurück.
Wir werden nicht einbrechen, okay?“
„Bin ja kein Gangster. Außerdem ist Scheibe einschlagen zu laut“, versucht mich Vesna zu beruhigen. Sie geht eng an der Fassade entlang und sucht nach einer Möglichkeit, ohne Gewalt und Lärm ins Innere des Gebäudes zu kommen. Aber alle Türen und Fenster sind zu. Der Mond kommt wieder hinter seiner Wolke hervor. Von der Wiese her geben wir eine wunderbare Zielscheibe ab, geht es mir durch den Kopf. Rehe, Mira. Dort sind nur Rehe, und die schießen nicht. Am liebsten würde ich ja ganz dicht bei Vesna bleiben, finde mich aber doch kindisch. Wenn ich schon hier bin, dann um tatsächlich ins Haus zu kommen. Vesna hantiert mit etwas Linealartigem an einer Terrassentür herum. Ist juristisch gesehen von einem Einbruchsversuch kaum zu unterscheiden. Ich drehe um. Ich werde nachsehen, was am rechten Rand der Terrasse ist, was an der aus dem Hügel ragenden Schmalseite des Stockwerks liegt. Das Mondlicht gibt mir neuen Mut. Zwei Fenster, Hausmauer, daneben Wiese. Zwei Meter lang aufgeschüttet und eben, danach Böschung, Übergang in den natürlich gewachsenen Hang. Oben, höchstens einige hundert Meter entfernt, das Kloster der Hildegard-Schwestern. Die Nonne könnte über den Hügel gekommen und dann über die seitliche Mauer geklettert sein und von dort ... — Aber warum hätte sie das tun sollen? Weil sie sich mit jemandem im alten, verlassenen Wellnessbereich treffen wollte, der ihr von innen eine Terrassentür geöffnet hat? Auf diese Möglichkeit wird die Polizei auch gekommen sein. Trotzdem klettere ich in einem Anfall von Übermut über die Seitenbegrenzung der Terrasse und stehe vor den beiden Fenstern. Am Rand der Mauer eine Feuerleiter, die zur nächsten Hangterrasse hinaufführt. Man kann also ausschließlich von unten über die Wiese, über die wir gekommen sind, über die Terrasse oder über den seitlichen Hang ins Haus gelangen. Ich schaue zur Burg hinüber und denke nach. Was hast du gemacht, Cordula? Was hast du erhofft? Wem bist du gefährlich geworden? Ich setze mich ins Gras. Ich sollte zurück zu Vesna. Aber seltsam, hier fühle ich mich sicher. Offenbar hat sie es ohnehin nicht geschafft, einen Weg nach drinnen zu finden. Besser so. Ich sehe über den Boden, werde müde. Ich sehe genauer hin. Da ist ein Fleck ohne Gras, es hat sich nur von rundherum darübergelegt. Ich stehe auf, gehe hin, wische mit meinem Turnschuh das Gras zur Seite. Eine Metallplatte. Wird etwas mit der Kanalisation zu tun haben. Könnte aber auch ... Hat Vesna nicht gemeint, dass es vielleicht unter dieser Etage noch einen Keller gibt? Eine Einkerbung in der Platte. Ich suche nach etwas, das ich als Hebel benutzen kann. Finde nichts. Trotzdem: Vielleicht bin ich es, die einen Weg ins Innere des Hauses entdeckt hat! - Und das willst du, Mira? In einen Schacht rutschen, nicht wissen, wo du rauskommst? Ich klettere zurück über die hüfthohe Mauer, bin auf der lang gestreckten Terrasse. Keine Vesna. Kann es sein, dass
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