Unterm Messer
eine Telefonnummer als auch eine E-Mail-Adresse. Ich überlege: In einer Mail kann ich vielleicht besser erklären, warum ich so schnell wie möglich mit ihr sprechen möchte. Da ist die Gefahr auch geringer, dass mich irgendeine Mitarbeiterin abblockt. Andererseits ist es klüger, wenn nicht allzu viel von dem, was ich weiß, schriftlich festgehalten ist. Ich kenne die Frau mit den grünen Augen nicht, hab keine Ahnung, in welcher Verbindung sie jetzt mit Professor Grünwald steht.
Ich lese etwas über die Entschlüsselung von Altersgenen, die Buchstaben verrinnen vor meinen Augen. Fünf Stunden Schlaf nach so einer Nacht sind eben doch nicht besonders viel. Das Institut ist in der Nähe des Praters. Nur ein paar U-Bahn-Stationen von mir entfernt. So wird es am besten sein: Ich fahre einfach hin und läute. Und wenn man mich nicht reinlässt, dann bin ich eben etwas früher als gedacht in der Redaktion. Ohnehin gut. Und besser, als noch einmal einzuschlafen und völlig zerschlagen aufzuwachen.
Ich weiß nicht, wie ich mir ein Genforschungsinstitut vorgestellt habe, auf alle Fälle geheimnisvoller als das GRA. Es ist in einem der relativ neuen hellen Bürogebäude rund um den Prater untergebracht, zusammen mit einer Erdölfirma, einem Versicherungsmaklerbüro und einer Einrichtung, die sich „Panafrikanische Handelsgesellschaft“ nennt. Im großzügigen Foyer ein Portier, der mich nicht daran hindert, an ihm vorbei zu den Aufzügen zu gehen. „Genetic Research Austria, 5. Stock“. Ich gleite hinauf, und ohne allzu lange darüber nachzudenken, was ich der Sekretärin erzählen werde, drücke ich die Klingel. Keine Reaktion. Ich sehe nach oben. Kamera. Hätte ich mir denken können. Vielleicht kann da überhaupt nur jemand rein, den sie kennen, den sie überprüft haben. Genetik ... Genmanipulation ... Grünwald manipuliert Nasen und Brüste. Ein Summen lässt mich zusammenzucken. Mira, reiß dich zusammen, die sehen das. Ich bewege mich langsam nach drinnen, erwarte irgendeine Sekretärin, eine Assistentin, aber da ist niemand. Schmaler Gang. Die erste Tür nach links steht offen. Ich spähe hinein. Hinter einem Schreibtisch eine ältere Frau.
„Wo finde ich Frau Dr. Veith?“, frage ich. Keine Ahnung, wie man die Genetikerin richtig anspricht. Mit „Universitätsdozentin“? Mit „Institutsleiterin“?
„Haben Sie einen Termin?“, fragt die Frau.
Oje, doch eine Sekretärin. „Leider nein, ich habe sie nicht erreicht. Ich bräuchte nur ein paar Auskünfte ... ich bin vom ,Magazin' ...“ Wäre wohl besser gewesen, ich hätte mir vorher zurechtgelegt, was ich sagen werde. Mein Hirn ist noch immer ziemlich umnebelt. Und der Oberschenkel schmerzt. Hoffentlich glauben die hier nicht, ich will irgendeine Story gegen Gentechnik schreiben. Ich setze gerade an, etwas Positives über Genforschung zu sagen, als mir die Sekretärin zuvorkommt.
„Kein Wunder, sie war für ein paar Tage verreist. Sie ist erst vor einer Stunde gekommen, ich weiß nicht, ob sie Zeit hat, da gibt es immer eine Menge aufzuarbeiten.“ Sie greift zum Telefon, drückt eine Taste. „Da ist eine Journalistin, Nat. Hast du kurz Zeit, mit ihr zu reden? Oder soll ich mir anhören, was sie möchte?“ Die Sekretärin nickt und legt wieder auf. „Vorletzte Tür im Gang, auf der linken Seite.“
Sieht so aus, als würden die Leute im Institut angenehm formlos miteinander umgehen. Und auch kein großes Trara rund um überraschende Besucherinnen machen. Ich bedanke mich und eile, bevor es sich jemand anders überlegen könnte, zur besagten Bürotür. Auch sie steht halb offen. Ein Labor habe ich auf meinem Weg nicht gesehen, nur Schreibtische und einige Menschen, denen ihr Computer wichtiger zu sein schien als ich.
Natalie Yeith, offenbar „Nat“ genannt, sitzt ebenfalls hinter ihrem Schreibtisch. Sie allerdings blickt mich aufmerksam an. Ich hätte die Frau vor mir kaum mit dem Bild auf der Homepage in Verbindung gebracht. Diese Genetikerin hat kurze rote Locken, die ziemlich wirr vom Kopf abstehen. Hinter ihr eine Glasfront, durch die man über einige Häuser hinweg auf das Riesenrad, eine Monsterschaukel und Praterbäume sieht.
„Mira Valensky vom ,Magazin'“, sage ich lächelnd und strecke ihr die Hand hin.
„Natalie Veith.“ Die Wissenschaftlerin ist aufgestanden, kommt auf mich zu, schüttelt mir die Hand.
„Ihre Sekretärin war so freundlich
Sie sieht mich etwas amüsiert an. „Das war Professor Fischer. Medizinerin,
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