Unterm Messer
es Sinn, ihn am Mobiltelefon anzurufen?“, frage ich.
„Nein. Es ist eine wichtige Verlagssitzung, er hat es ausgeschaltet.“
Wichtige Verlagssitzung. Was soll da schon wieder ausgeschnapst werden? Riecht nach Sparprogramm, so etwas ist ja inzwischen überall modern. Ich lasse mir einen Termin für halb sechs geben. Ich muss ohnehin in die Redaktion, Post durchsehen, Anwesenheit zeigen. Die Konkurrenz schläft auch bei uns nicht. Außerdem ist es besser, ich bespreche die überraschenden Entwicklungen in meiner Story über plastische Chirurgie mit Klaus persönlich.
Die Fotografin erreiche ich sofort. Ja, sie habe Fotos von der ,Beauty Oasis' gemacht. Allerdings erst heute früh, in der Morgendämmerung. Einige der Bilder dürften sehr gut geworden sein. Sie sei jetzt wieder in der Werkstatt. Es sei noch nicht klar, ob die ihr Auto so weit hinkriegen, dass sie damit zurück nach Wien fahren kann. „Hast du den Leihwagen noch?“, will ich wissen.
„Habe ich, für alle Fälle.“
„Zweihundert Meter von der Schönheitsklinik ist ein dreistöckiges altes Gebäude. Es ist das Kloster der Hildegard-Schwestern. Ich hätte gern Fotos davon. Und wenn es geht, auch Bilder, auf denen das alte Kloster und die ,Beauty Oasis' zusammen zu sehen sind.“ Die Fotografin verspricht, gleich loszufahren. Am Abend müsse sie jedenfalls in Wien sein. Sie dürfe beim Konzert von Pink fotografieren, das werde sie sich sicher nicht entgehen lassen. „Wir sehen uns morgen Vormittag in der Redaktion, passt das?“
Hoffentlich vergisst sie über dem Popstar nicht auf die Bilder, die mit dem Tod einer lang nicht so spektakulären Nonne zu tun haben.
Ich gehe auf unsere Terrasse und lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Sonne bringt mir Energie, behaupte ich immer. Ich hoffe, dass das auch heute stimmt.
Oskar spreche ich wieder einmal auf seine Mobilbox, zum Glück halte ich mich zurück und beschwere mich nicht über das verräumte Telefon. Er hat es ja bloß gut gemeint. „Gut gemeint“, oh du liebe Güte, wie ich diesen Ausdruck hasse. Damit wird versucht, fast alles zu entschuldigen. Aber ich muss zugeben, dass mir ein paar Stunden Schlaf gutgetan haben. Den Gerichtsmediziner Simatschek erreiche ich auch nicht, ist mir ohnehin lieber, ich muss erst überlegen, wie ich meinen nächtlichen Anruf erkläre. Immerhin ist er Teil des Polizeiapparates, ich sollte aufpassen, wie viel ich ihm erzähle. Wobei: Früher oder später müssen wir den Ermittlern jedenfalls vom Geheimlabor berichten. Aber besser, ich stimme das alles gut mit Vesna ab. Und besser, dass dann die nächste Ausgabe des ,Magazin‘ schon in Druck ist. Die meisten Polizeistellen halten nicht restlos dicht, irgendwelche befreundeten Journalisten erfahren oft einiges, was eigentlich nicht öffentlich ist. Das wird im Steirischen Vulkanland nicht anders sein.
Ich setze mich an meinen Laptop und google den Namen der ehemaligen Mitarbeiterin von Professor Grünwald, den die Nonne Gabriela auf einem Zettel bei ihrer toten Mitschwester gefunden hat. Natalie Veith. Zum Glück habe ich meinen Computer nicht mit ins Weingartenhäuschen genommen.
„Univ. Doz. Dr. Natalie Veith, Leiterin des Instituts ,Genetic Research Austria' (GRA), Studium der Molekularbiologie und Genetik in Wien, Berlin und Boston. Assistenzprofessorin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Mitarbeit am Human Genom Project (HGP), Gastprofessur an der Karl-Albrecht-Universität Kiel.“ Ich scrolle nach unten, da ist ihr Foto: schmales Gesicht, glatt zurückgekämmte rote Haare, grüne Augen, bestenfalls vierzig. Seit einiger Zeit überkommt mich bisweilen ein eigenartiges Gefühl, wenn ich auf Menschen treffe, die deutlich jünger sind als ich und schon einen beeindruckenden Lebenslauf vorweisen können. Ich sollte mich daran gewöhnen. Ich werde mich daran gewöhnen müssen, es wird mir mit zunehmendem Alter immer häufiger passieren. Was ich mich fragen sollte, ist: Was hat eine offenbar sehr erfolgreiche Genetikerin im Labor von Professor Grünwald verloren gehabt? Und warum scheint die Tätigkeit bei Grünwald nicht in ihrer offiziellen Biografie auf der Homepage des GRA auf? Na gut, dafür gibt es vielleicht eine einfache Erklärung. Anti-Aging-Cremes zu testen mag zwar lukrativ sein, aber sicher nicht besonders gut für das Renommee einer Wissenschaftlerin. Dankenswerterweise scheint das Österreichische Genforschungsinstitut kein Geheimbund zu sein. Ich finde zu Dr. Veith sowohl
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