Unterm Messer
im weißen Spurensicherungsanzug.
Ein Mann mit halblangen lockigen braun-grauen Haaren und einer Tasche betritt den ehemals so stillen Wellnessbereich. „Wo ist sie?“, fragt er.
Schwester Gabriela deutet auf die Sauna.
Mir dämmert etwas. Wenn die Frau tatsächlich drei Tage in der eingeschalteten Sauna gelegen ist ... „Nicht anfassen!“, schreie ich.
Der Mann dreht sich zu mir um. „Ich darf. Ich bin der Gerichtsmediziner. Karl Simatschek.“
„Niedertemperaturgegart?“, sagt der Gerichtsmediziner einigermaßen verblüfft. „Sie meinen, bei geringer Hitze über eine lange Dauer gar gezogen?“
Er scheint etwas vom Kochen zu verstehen. Ich nicke erleichtert. „Und wenn man sie angreift ...“
Er nickt. „... könnte das Fleisch von den Knochen fallen.“ Grünwald sieht aus, als könnte ihm keine Schönheitsoperation der Welt mehr helfen. Ältlicher Mann, leicht deformiert, schwitzend in einem gar nicht mehr korrekt sitzenden dunklen Abendanzug.
[ 2. ]
Der Wecker meines Mobiltelefons läutet, als ich gerade von schmelzenden Nonnen träume. Es sind solche wie in den alten Louis-de-Funès-Filmen, mit ausladenden Hauben, aber aus Schokolade, wie Osterhasen oder Weihnachtsmänner. Ich fahre auf, wundere mich über die strahlende Sonne. Es kann noch nicht Morgen sein. — Was war gestern? Die nackte Nonne in der Sauna ... Es ist bereits acht. Ich muss dringend noch einmal mit Schwester Gabriela reden. Wir haben im Vorraum der Wellnesslandschaft darauf gewartet, unsere Aussage machen zu können. Bewacht von einem Kriminalbeamten, der gar nicht erbaut darüber zu sein schien, mitten in der Nacht dem Tod einer Nonne nachgehen zu müssen. Zur Aussage wurden wir dann in ein Zimmer hinter einer der dunklen Holztüren gebracht. Es dürfte ein kleiner Seminarraum gewesen sein, seit längerer Zeit allerdings unbenutzt. Wohl ein Überbleibsel vom Vorgängerhotel. Chefinspektor Knobloch hat nicht allzu viel von mir wissen wollen. Vielleicht war er einfach müde. Oder er wollte sich eine Überraschungsattacke aufheben. „Kann sein, dass wir noch einmal miteinander sprechen müssen“, hat er gemeint. Er macht einen ziemlich kompetenten Eindruck. Warum auch nicht? Ich habe doch noch nie geglaubt, dass die Klügeren in Wien sitzen. Der Gerichtsmediziner schien es geschafft zu haben, die Leiche im Ganzen abzutransportieren. Gesehen habe ich sie allerdings nicht mehr. War mir auch recht so. Als Simatschek an mir vorbei ist, hat er mir zugeflüstert: „Ein Hinteres Ausgelöstes vom Galloway, vierundzwanzig Stunden bei siebenundsechzig Grad gegart, ist mir lieber.“
Ich hab ihn erstaunt angesehen, er ist tatsächlich rot geworden und hat gestottert: „Nicht dass Sie mich für pietätlos halten ... nein ... ist nur meine Art, mit absurden Situationen umzugehen ... Der Tod an sich ist das Absurdeste von allem ... Sorry, ich weiß nicht, was ich für einen Unsinn rede ...“ Ich bin mir nicht sicher: Hab ich ihn angelächelt? Hab ich genickt? Schwester Gabriela war jedenfalls plötzlich weg. Dafür ist Professor Grünwalds Anwalt aufgetaucht. Er ist ungefähr so alt wie Grünwald und hat noch etwas angeschlagener gewirkt. Gut, es war zwei in der Nacht. Grünwald hat doch ohnehin keiner verdächtigt, oder doch? Auf alle Fälle hat mir der Anwalt klarzumachen versucht, dass ich nichts über das „Unglück“ schreiben dürfe. „Unglück“ — als ob sich die Nonne selbst eingesperrt und über die Saunatür ein Brett genagelt hätte. Wunder gibt es immer wieder ... Dem Gerichtsmediziner ist zu diesem Zeitpunkt jedenfalls klar geworden, dass ich Reporterin bin. Wohl nicht so gut fürs Gesprächsklima. Oder doch? Er hat mir einen interessierten Blick zugeworfen. Na ja, so hab ich ihn jedenfalls interpretiert. War ja schon spät. Ich gähne. Ich muss die Redaktion verständigen. Über die gegarte Nonne in der Schönheitsoase zu schreiben, lasse ich mir sicher nicht verbieten — auch wenn es vielleicht nicht gerade die Story ist, die die Geschäftsführung des ,Magazin‘ wollte. Eine nackte Nonne. Okay, in der Sauna sind wohl auch Nonnen nackt. Wer war sie? Schwester Gabriela hat in der ersten Aufregung gesagt, dass Schwester Cordula weg wollte. Weg von der ,Beauty Oasis‘ oder weg vom Kloster? Vielleicht steckt ein Mann dahinter. - Einer, von dem sie sich zu viel erträumt hat? Den sie falsch eingeschätzt hat? Was, wenn das Kloster sie nicht gehen lassen wollte? Weil sie etwas wusste, das nicht an die
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