Unterm Strich
genug. Werner A. Perger hat im Januar 2007 einen schönen Katalog der Empörung zusammengestellt: Globalisierung, Reformdruck, Sparzwänge, Zuwanderung, neue Ungleichgewichte, ethnische Spannungen, Sicherheitsdefizite, Zukunftsängste der Mittelschicht, Hilflosigkeit der Unterschicht. Die Verdrossenheit gilt summarisch der Politik und speziell, mit einer besonderen Prise gesalzen, den Parteien.
Der Verlust an Vertrauen und Glaubwürdigkeit ist demoskopisch belegt und auf jeder politischen Veranstaltung, deren Publikum nicht nur aus Anhängern der eigenen Partei besteht, unmittelbar zu spüren. Er trifft insbesondere die klassischen Volksparteien bis hin zur CSU. Die Gefahr, dass sich die Unzufriedenheit in einen allgemeinen Verdruss an der Demokratie und dem parlamentarischen System steigert und sich für autoritäre Versuchungen offen zeigt, mag nicht greifbar sein. Aber es wäre sträflich, sie in einer allzu großen Selbstgefälligkeit generell zu leugnen.
Die Ursachen dieser Unzufriedenheit gehen einerseits auf die Politik selbst zurück und sind andererseits Ausdruck zunehmender Komplexität und Ungewissheiten im beschleunigten gesellschaftlichen Wandel. Die Politik hat durch vielfältige Selbstbeschädigungen, folgenlose Inszenierungen, Kraft- und Mutlosigkeit, Glaubwürdigkeitsdefizite ihres Personals und die Verweigerung neuer Formen der Mitsprache und Teilhabe zu ihrem Ansehensverlust erheblich beigetragen. Ich wehre mich zwar gegen die Beschreibung des britischen Politikwissenschaftlers Colin Crouch, der bereits von einer »Postdemokratie« spricht, die sich dem Primat ökonomischer Kräfte und (Schein-)Zwänge ergeben habe. Postdemokratie sei nur noch eine Hülle, reduziert auf ein »formaldemokratisches Gemeinwesen mit relativ wenig Raum für zivil-gesellschaftliche Aktivitäten und demokratischen Meinungsstreit, mit viel Effizienz, wenig diskursivem Schnickschnack und im Zweifel einer kunterbunten berlusconesken Unterhaltungsindustrie, die ihre Konsumenten gnädig betäubt«. So weit sind wir glücklicherweise - noch - nicht. Aber wir könnten eines Tages hart landen - in einer Republik, in der die Volksparteien ganz ohne Volk sind, die Regierten sich von den Regierenden gar nicht mehr repräsentiert fühlen und das Bedürfnis der Bürger nach anderen Regelkreisen mit größeren Einflussmöglichkeiten sich neue »Identitätsanker« zulegt.
Die Verdrossenheit trifft die politischen Parteien ohne Ansehen der Spektralfarben. Sie verstünden sich nur noch als Organisation zur Eroberung und Behauptung politischer Macht. Sie hätten sich den Staat mit seinen Institutionen zur Beute gemacht und würden überall nur ihre eigenen Leute platzieren. Sie lebten in einer Parallelwelt, in der sich Funktionäre und Mitglieder nur noch selbst begegneten. Ihre Finanzierung beruhe auf einem Missbrauch von Steuergeldern. Ihnen fehle die Kraft und Verantwortungsbereitschaft, die Zukunftsaufgaben anzupacken und das Interesse des Landes über ihr eigenes zu stellen. Ihre interne Personalauswahl befördere nicht die Tüchtigen, sondern die Linientreuen. So lauten die Vorwürfe des hohen Gerichts, des Wählers und Souveräns. Gegen das Urteil gehe ich - wahrscheinlich unter Missbilligung vieler meiner politischen Wegbegleiter - nicht in die Revision.
Es finden sich zu viele ernstzunehmende Einwände gegen das Gebaren und die Aufstellung von Parteien, die sich mit den üblichen politischen Stehsätzen und typischen Abwiegelungen nicht beiseiteräumen lassen. Und die Parteien werden in noch größere Kalamitäten kommen, wenn sie in ihrer ausgeprägten Selbstbezogenheit die wachsenden Vorbehalte der Bürger weiter ignorieren sollten. Mein Eindruck ist, dass - mit Abstrichen bei Bündnis 90/ Die Grünen - die Parteien in mehrfacher Hinsicht im letzten Jahrhundert stehengeblieben sind, während sich um sie herum vieles fundamental geändert hat. Wer dafür Belege sucht, sollte die Motive der stets größer werdenden Gruppe der Nicht-Wähler analysieren, den Blick auf Rituale und Ranküne innerhalb der Parteiapparate richten, die Teilnehmerzahlen und den Altersdurchschnitt auf Sitzungen von Ortsvereinen ermitteln.
Wofür ich mich allerdings in die Bresche werfen möchte, ist die Notwendigkeit von funktionsfähigen Parteien in einer parlamentarischen Demokratie. Wo die berechtigte und nachvollziehbare Kritik in eine Diskreditierung der Parteien als solche, ja in Verachtung umschlägt und insinuiert wird, dass es ohne Parteien
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