Unterm Strich
Verteilungsmentalität anzuhängen und zu wenig Verständnis für das Unternehmertum und damit für die Erwirtschaftung dessen zu haben, was erst anschließend verteilt werden kann.
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Grundströmungen, die in der Mitte der Gesellschaft zusammenfließen. Es gibt dort nach meiner Einschätzung eine starke liberale Gesinnung, die aber nicht mehr mit dem Liberalismus der FDP gleichzusetzen ist; sie steht für Eigenverantwortung, Toleranz, Bürgerrechte und Wettbewerbsfähigkeit. Es gibt in der Mitte ein starkes ökologisches Bewusstsein, das aber längst nicht mehr allein von den Grünen artikuliert wird; es drängt auf Nachhaltigkeit und eine Veränderung unserer Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten. Es gibt dort einen breiten Konsens über die Kulturleistung des Sozialstaates, der aber nicht nur von der SPD geteilt und getragen wird; danach ist Gerechtigkeit gerade in Zeiten eines rapiden Wandels ein wichtiges Bindemittel für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Und es gibt in der Mitte der Gesellschaft schließlich eine große Wertschätzung bürgerlicher Normen und Werte, die sich keineswegs nur im Programm der CDU/CSU wiederfinden; dazu gehören Familie, Heimat, Stand, sogenannte Sekundärtugenden, die das Zusammenleben erleichtern, und nicht zuletzt die Ideale von 1789, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Ideale eines aufgeklärten Bürgertums.
Weil in der Mitte so viel zusammenfließt, bemühen sich die politischen Parteien, die jeweiligen Quellen, an denen sie sitzen, zu monopolisieren und im politischen Grundbuch festzuschreiben. Wir, die liberale, die bürgerliche, die ökologische, die sozialstaatliche Partei, geruhen zu verkünden. Das aber allein reicht nicht mehr, um die politische Mitte der Gesellschaft zu erreichen, selbst wenn das jeweilige Adjektiv auf diesem oder jenem politischen Feld einen Kompetenzvorsprung verschafft. Vielmehr wird diejenige politische Partei Volkspartei bleiben oder als solche reüssieren, die sämtlichen Grundströmungen gleichermaßen mit ihren inhaltlichen und personellen Angeboten Rechnung trägt. Darin liegt einer der entscheidenden Fehler der SPD, dass sie mit der inflationären Ächtung »neoliberal« auch den Liberalismusbegriff über Bord kippt und sich von CDU/CSU/FDP als selbstdefiniertem bürgerlichem Block ausgrenzen lässt, weil ihr »bürgerlich« zu sehr nach Schlips und zu wenig nach Blaumann klingt. Der Anwurf »neoliberal« ist in der SPD zu einer magischen Floskel verkommen, die der Abwehr einer inhaltlichen Auseinandersetzung dient.
Der parteipolitischen Überrumpelung des Bürgertums durch die Spin-Doktoren von CDU/CSU und FDP ist vieles entgegenzusetzen. Ein linksbürgerliches Publikum lässt sich mobilisieren, das den »Raubtierkapitalismus« bekämpft sehen will, Bildungsreformen für zwingend notwendig hält, Bürgerrechte verteidigt, für Solidarität eintritt und mit den chauvinistischen Spurenelementen sowie frauen- und familienpolitischem Konservatismus im Unterfutter von CDU/CSU nichts zu tun haben will. Dieses linksbürgerliche Publikum ist ökologisch engagiert, ohne deshalb wirtschafts-ignorant zu sein, und es hegt keinerlei Sehnsucht nach einer Vereinigung der SPD mit der Linkspartei. Es mag einfach keine Funktionärs- und Kommissartypen, Volkstribune erscheinen ihm unheimlich.
Alle Parteien ähneln mehr oder weniger einem selbstreferenziellen System. Die Parteien werden diese Behauptung mit dem Ausdruck der Empörung weit von sich weisen, aber genau hier liegt einer der Gründe dafür, dass sie an Attraktivität verlieren. Und es gibt eine Reihe von unübersehbaren Indizien, die meine Behauptung stützen. Das bereits im Eingangskapitel zitierte Gegensatzpaar der »Zeitreichen« und »Zeitarmen« halte ich für besonders hilfreich, denn diese Unterscheidung trifft den Kern des Problems. Bei den Zeitreichen handelt es sich um die Parteiaktiven - in den großen Parteien höchstens 10 bis 15 Prozent -, die nicht nur das Innenleben der Partei bestimmen, sondern eben auch die parteiinterne Aneignung von Wirklichkeit und die Mechanismen der Personalauswahl. Beruflich stark eingebundene Menschen, sei es die Krankenschwester, sei es der Technische Direktor der Klinik, sind zeitlich und oft auch mental kaum in der Lage zu einem parteipolitischen Engagement. Und das auch noch regelmäßig? Auf allen Sitzungen?
Die parteiinterne Meinungsbildung wird folglich von Menschen bestimmt, die aufgrund ihres
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