Unterm Strich
Umstände, das Wetter, die Begriffsstutzigkeit der Wähler (»Wir haben unsere Inhalte nicht vermitteln können«) - all das muss stattdessen als Erklärung herhalten.
Das Parteileben und die Parteiarbeit in den Organisationseinheiten auf der lokalen und regionalen Ebene will ich von dieser Kritik ausnehmen und nicht dem Hauch einer Verdächtigung aussetzen. Dort engagieren sich wackere Frauen und Männer, ohne die es keine gelebte Demokratie gäbe, keine Kommunalpolitik, keine Vermittlung der Politik von oben nach unten und keine Meldungen über die Bodentemperatur von unten nach oben. Sie haben es schwer genug und tragen ziemlich viele Narben. Ihnen ist mehr als allen Beobachtern bewusst, wie schwer es ist, neue Mitglieder zu werben und ein lebendiges Parteileben örtlich zu organisieren.
Nach meinen Erfahrungen sind es weniger die Inhalte oder Programmaussagen der Politik, mit denen sie sich einen inzwischen bedenklichen Verlust an Vertrauen und Glaubwürdigkeit, wenn nicht Verachtung eingehandelt hat. Im Gegenteil, viele Bürger erwarten geradezu, dass im politischen Wettbewerb Auseinandersetzungen in der Sache geführt und klare Positionen, etwa zur Familienförderung, zum Umweltschutz oder zu den Staatsfinanzen, markiert werden. Deutlichkeit kostet die Politik keinen Kredit beim Wähler. Selbst die Art und Weise, wie politische Meinungsverschiedenheiten oder kontroverse Debatten mitunter zu einem »Riesenstreit« hochgejazzt werden, führt noch nicht zur Abwendung der Bürger vom politischen Geschehen. Skandale, Verantwortungslosigkeiten, anrüchiges Verhalten und Fehltritte will ich in diesem Zusammenhang als beklagenswerte, aber nicht zu leugnende Begleiterscheinungen in Rechnung stellen, sie sind nicht die Norm. Was also hat die Politik so in Verruf gebracht?
Anspruch und Wirklichkeit, Reden und Handeln weichen zu häufig voneinander ab. Fliegende Positionswechsel und hohles Pathos kosten Glaubwürdigkeit. Dem verbreiteten Vorurteil, es ginge nur um die Macht, leisten Politiker vielfach Vorschub.
Die Enttäuschung beginnt damit, dass zu viele politische Reden und Zusammenkünfte in der Regel folgenlos bleiben. Die Ergebnisse sogenannter Spitzentreffen stehen in einem teils krassen Missverhältnis zu dem Aplomb, mit dem sie meist von der Politik selbst als »Gipfel« angekündigt und öffentlich inszeniert werden. Der Bürger nimmt solche Zusammenkünfte inzwischen vielfach als Scheinaktivitäten wahr. Wenn ich Rahmen und Ablauf des ersten Weltwirtschaftsgipfels, der unter dem Druck der ersten Ölpreiskrise auf Initiative von Helmut Schmidt und Valery Giscard d'Estaing 1975 auf Schloss Rambouillet im Kreis der sechs führenden Industrienationen (G6-Staaten) stattfand, beispielsweise mit dem Weltwirtschaftsgipfel 2006 in Heiligendamm und seinem ganzen (kostenträchtigen) Plunder bis hin zu küstennah stationierten Kriegsschiffen und etwa 5400 akkreditierten Journalisten von 807 Medien aus 72 Ländern vergleiche, dann ist eine gewisse Metamorphose der Politik unübersehbar. Weder die Effizienz der Politik noch ihr Ansehen bei den Bürgern wurden dabei gesteigert.
Das öffentliche Erscheinungsbild von Politikern wird in der Regel allerdings nicht durch Auftritte auf der internationalen Bühne, sondern maßgeblich von ihrer Teilnahme an den wöchentlichen Spitzentreffen, an Sondersitzungen oder Chefgesprächen auf der Berliner Schaubühne geprägt. Allerdings anders, als uns politisch lieb sein kann. Selbst hochstapelnde Verlautbarungen können nicht den Eindruck verwischen, dass die Politik bei großer Hektik nur einen geringen Output hervorbringt und schon unter dem Aspekt der Effizienz falsch aufgestellt ist. Im günstigsten Fall wenden sich die Bürger abgestumpft von diesem Politikbetrieb ab. Der Vorwurf - und ich formuliere ihn durchaus selbstkritisch - zielt nicht darauf, dass sich Politiker angesichts komplexer Probleme viel mehr Zeit zu gründlicher Abwägung nehmen müssten. Der Vorwurf erstreckt sich darauf, dass sie sich ohne Not selbst öffentlich vorführen - statt sich Bedenkzeit außerhalb des Scheinwerferlichts zu nehmen. Die Politik redet eben auch dann, wenn sie eigentlich nichts zu sagen hat.
Zuletzt trägt der Wortbruch nicht unerheblich zu den Selbstbeschädigungen der Politik bei. Politik ist nicht selten gezwungen, sich zu korrigieren. Ich halte das eher für eine Qualität als für eine Schwäche. Manche Korrekturen können allerdings in einem deutlichen Widerspruch zu früheren
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