Unterm Strich
Demokratie betrachtet werden sollte. Kann der Fortbestand unseres Gemeinwesens eindimensional von einem Faktor abhängig gemacht werden, der schwächelt oder sich sogar einmal verabschieden könnte - und zwar nicht nur kurzfristig für ein Jahr wie 1993 mit minus 0,8 Prozent, 2003 mit minus 0,2 Prozent oder 2009 mit minus 5 Prozent? Wie verhält und entwickelt sich unsere Gesellschaft bei Nullwachstum? Ist eine kollektiv akzeptierte und eingeübte »Bescheidenheit« (Kurt Biedenkopf) vorstellbar? Wenn dafür Fairness - also auch eine größere Verteilungsgerechtigkeit - eine grundlegende Voraussetzung ist: Wer soll dann bitte den Gürtel um wie viele Löcher enger schnallen? Und nicht zuletzt: Was hieße Wachstumsverzicht oder Nullwachstum für unsere Wettbewerbsfähigkeit, für die ökonomische und politische Stellung Deutschlands in Europa und in der Welt?
Mit diesen vier Argumenten will ich mich nicht von irgendeiner Schule vereinnahmen lassen, die jedwedes Wachstum für Teufelszeug hält und 82 Millionen Deutschen Askese verordnen will. Solche Experimente kann man mit sich selbst im Labor der privaten Wände machen, aber bitte nicht im Großversuch mit einer hochkomplexen Gesellschaft. Politik mit Gestaltungsanspruch wird auch immer darauf verweisen, dass sie zum einen Wachstum fördern - beispielsweise über den technologischen Fortschritt - und zum anderen beeinflussen kann, was genau unter dem Aspekt der Qualität und Nachhaltigkeit wachsen soll und was nicht. Allerdings bin ich skeptisch, dass diesem Gestaltungsanspruch politisch Folge geleistet und die angelaufene Dekade fette oder auch nur halbwegs satte Jahre präsentieren wird.
Auf eine Rezession wie die gegenwärtige, die fast in die Dimension einer weltweiten Depression wie Anfang der dreißiger Jahre mit den bekannten Folgen eskaliert wäre, folgt wahrscheinlich eine längere Phase verlangsamten Wachstums. Die Sparneigung der Konsumenten wird aus Unsicherheit über ihre Zukunft zunehmen. Sie werden ihr Geld eher auf die hohe Kante - hoffentlich bei den Banken und nicht unter die Matratze - legen, als ihren Verbrauch zu erhöhen. Insbesondere die Amerikaner konsumieren im Schock über die Krise weniger als früher - im Jahr 2009 minus 0,4 Prozent, was der stärkste Rückgang seit 1938 ist - und entdecken einen Hang, der bisher eher nicht zu ihren Nationaleigenschaften gehörte: Während ihre Sparquote noch im Jahr 2005 mit minus 0,1 Prozent negativ war (so etwas gibt es!), ist sie 2009 im Schnitt auf 4,6 Prozent gestiegen, die höchste Quote in den USA seit 1998. Da der private Konsum aber den Acht-Zylinder-Wirtschaftsmotor der Vereinigten Staaten auf sechs Zylindern antreibt, wird sich seine Umdrehungszahl im Zuge einer langsamen Überwindung der Krise wahrscheinlich auch nur sehr langsam erhöhen. Vor Ausbruch der Krise hat die Binnennachfrage der USA fast 20 Prozent des weltweiten Wachstums getrieben, was alle Welt frohlocken ließ. Für Deutschland gilt, dass sich die Konsumausgaben privater Haushalte bisher von der Krise erstaunlicherweise so gut wie unbeeindruckt zeigten. Aber es geht eben auch kein zusätzlicher Impuls vom Konsum aus. Eine wachsende Arbeitslosigkeit und Bewegungen an der Preisfront, die zur Verteuerung der Lebenshaltungskosten führen, täten das Ihrige, ihn zu dämpfen.
Der Anstieg der Staatsschulden der USA, von Großbritannien, Japan und der Eurozone wird für 2009/2010 auf rund 3,9 Billionen Euro geschätzt. Vor diesem Hintergrund werden die Staatsausgaben angesichts der ohnehin bedenklich hohen öffentlichen Verschuldung nicht weiter steigen können, wenn nicht mit dem Hintern das eingerissen werden soll, was vorn gerade mit den Händen vertrauensbildend wieder aufgebaut wird. Im Gegenteil: Die Neuverschuldung wird in vielen Ländern sinken - sinken müssen. In Deutschland wird sie ab 2011 jährlich um mindestens 10 Milliarden Euro reduziert werden müssen, um das Defizitverfahren nach dem Maastrichter Stabilitäts- und Wachstumspakt und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einzuhalten. Ich behaupte, dass es tendenziell eher noch einige Milliarden Euro mehr sein müssen, insbesondere wenn sich bestätigen sollte, dass die bisherigen Haushaltsbeschlüsse der Bundesregierung zur Verbesserung der Einnahmeseite auf Sand gebaut sind.
Andere Länder mit jährlichen Defizitquoten von 10 Prozent aufwärts in ihrem Budget und Schuldenständen, die oberhalb von 90 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung liegen,
Weitere Kostenlose Bücher