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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peer Steinbrück
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»Funktionsstörungen« zu hinterfragen, die seine zukünftigen Entfaltungsmöglichkeiten behindern und seine Machtpositionen einschränken können. John Hulsman, ein Mitglied des Council on Foreign Relations in Washington, zitiert in einem Zeitungsartikel den Historiker Richard Hofstadter, dem zufolge die gesamte politische Entscheidungsstruktur der USA als ein »harmonisches System gegenseitiger Frustrierung« angelegt ist. Hulsman verweist auf die Gründerväter, die zu verhindern suchten, »dass die amerikanische Revolution ihre Kinder frisst«, und deshalb ein System mit eingebautem Zwang zum Kompromiss verankerten. »Keiner Person, keiner Leidenschaft dürfe es erlaubt sein, den Rest zu überwältigen. Es war eine bewusste Entscheidung, dafür zu sorgen, dass eine einfache Mehrheit nicht reicht - die praktische Konsequenz lautete, dass erst eine Mehrheit von 60 Stimmen im Senat den Filibuster verhindern kann. Menschen mit sehr verschiedenen Standpunkten sollten an jeder bedeutenden Gesetzgebung beteiligt sein.«
    Wenn aber die Basis für Kompromisse in einer scharfen Lagerabgrenzung, die nahezu einer ideologischen Konfrontation entspricht, wie sie Amerika bisher nicht kannte, verlorengeht, dann droht diesem politischen System mit den ausbalancierten Beziehungen zwischen seinen Verfassungsorganen eine Blockade. Dieser Entwicklung liegt nicht nur die gewachsene Unversöhnlichkeit zwischen den beiden Grand Old Parties, den Republikanern und den Demokraten, zugrunde. Sie ist nicht weniger von starken Lobbys, in Prinzipien vernarrten Bürgerbewegungen und »Graswurzlern«, Predigern, Tea-Party-Gängern und gesinnungsfixierten wie gleichermaßen quotenorientierten Fernsehsendern befeuert worden. Sie entfernen das Land von einer Lösung seiner Probleme. Die Auftritte, ach was, die Feldzüge des reaktionären und nationalistischen Talk-Radio-Stars Rush Limbaugh, der erheblichen Einfluss auf die Republikaner ausübt, sprechen für sich.
    Präsident Obama wird auf den Veranstaltungen der konservativen Gegenbewegung - den Tea-Partys - als sozialistischer Ideologe, Galionsfigur einer sozialistischen Agenda und als Feind des Landes (!) diffamiert. Es packt einen das kalte Grausen angesichts der darin zum Ausdruck kommenden, kaum verhüllten Billigung, den »Feind« auszuschalten. Seine Reformpläne zur Gesundheitsversorgung stießen im Kongress auf massive Widerstände und waren Gegenstand heftigster Polemik und Aggressionen, ehe sie doch noch verabschiedet wurden. Dem Thema des Klimaschutzes wird wohl nicht annähernd so viel Erfolg beschieden sein. Barack Obama ist aus Sicht seiner Gegner ein Präsident, mit dem es keine Kompromisse geben dürfe und könne. Die Betäubung und Blockade seiner Reformvorhaben hinterlassen wiederum bei dem Teil der Bevölkerung, der in der seligen Freude über seine Präsidentschaft höchste Erwartungen auf ihn projizierte, leider nicht nur einen politischen Kater, sondern schwere Frustrationen.
    Die Galionsfigur der Gegenbewegung ist die ehemalige Kandidatin für die Vizepräsidentschaft der Republikaner, Sarah Palin. Die Vorstellung, dass diese Lady Verantwortung nicht nur für die USA, sondern auch auf der Weltbühne erhalten hätte oder noch erhalten könnte, kommt einem Albtraum nahe. Über ihre Substanz schweigt des Sängers Höflichkeit. Auf Substanz kommt es aber offenbar aus Sicht vieler Bürger der mächtigsten und in höchster Verantwortung stehenden Nation auch gar nicht an. »Bei Palins Klienten steht jeder intelligente Kommentar unter dem Generalverdacht, eine weitere trügerische Finte des >Establishment< zu sein. Von ihren Knallern hingegen bleibt der verführerische Rauch von Aufruhr und Umsturz in der Luft.«
    Während die einen eine ideologische Spaltung des Landes konstatieren, sehen andere eine Krise des politischen Systems oder - analog zur Rezession der Finanz- und Wirtschaftskrise - sogar eine »politische Depression«. Ein Beobachter verstieg sich gar zum Schreckbild einer »Balkanisierung« der USA. Auftrieb erhalten diese Bewertungen durch ein Ereignis, dessen Konsequenz für das politische System der USA - zumindest bei uns - offensichtlich untergegangen ist. Der Oberste Gerichtshof der USA, der Supreme Court, hat im Januar 2010 ein Urteil gesprochen, mit dem Beschränkungen für die Wahlwerbung von Firmen aufgehoben wurden. Seitdem dürfen Unternehmen und ihre Lobbys die Kandidaten für Präsidentschafts- und Kongresswahlen mit Anzeigenkampagnen in unbeschränkter

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