Unternehmen Vendetta
Allgemeine Regeln für ein Verhalten in solchen Situationen gibt es nicht. Luigi hatte überdies nach dem Schuß mehrere Stunden in der Einsamkeit verbracht und somit reichlich Zeit gehabt, sich zu sammeln, bevor sie sich in der Dunkelheit wieder getroffen und unten am Strand ihre Taucherausrüstung angezogen hatten, um dann zur Basis zurückzukehren.
Carl ging ins Badezimmer, wusch und rasierte sich, widerstand aber der Versuchung, unter die Dusche zu gehen. Unter der Dusche würde er nichts mehr hören und nicht merken, wenn jemand hereinkam. Und dann konnte es schon zu spät sein. Das konnte zum Problem werden, denn er mußte während dieses Unternehmens schließlich auch auf seine persönliche Hygiene achten.
Er zog sich einen frischen weiten Pullover an, setzte sich hin und dachte darüber nach, welche Munition er für den Abend wählen sollte. Falls die Männer schußsichere Westen anhatten, wären sein Revolver und teflonbeschichtete Patronen mit Urankern am besten. Keine schußsichere Weste der Welt stoppt Patronen, die fünf Zentimeter starke Panzerung durchschlagen.
Der Revolver war jedoch unter der Kleidung schwer zu verbergen, und die Hitze draußen machte es praktisch unmöglich, mit Jacke und Schulterholster zu gehen.
Carl setzte darauf, daß sie keine schußsicheren Westen trugen, nahm seine Pistole und füllte das Magazin mit Hohlspitzenmunition, die darauf ausgelegt ist, in einem menschlichen Körper möglichst große Verwüstungen anzurichten. Dann steckte er sich die Pistole auf dem Rücken in den Gürtel, befestigte sein tragbares Telefon in dem albernen kleinen Yuppie-Holster am Gürtel und holte tief Luft, bevor er schnell die Hoteltür aufmachte und in den Korridor hinausging. Kein Mensch war zu sehen.
Er gab den Schlüssel ab und sagte, er wolle etwas essen. Unter dem Vorwand, daß jemand ihn vielleicht dringend telefonisch zu sprechen wünsche, nannte er den Namen des Restaurants. Dann trat er auf die Straße und begab sich schnell von dem hell erleuchteten Eingang weg und verschwand im Gewimmel auf dem Bürgersteig. Er ging so schnell, daß niemand ihn von hinten einholen konnte, ohne sich zu verraten. Und wer von vorn kam, würde keine große Bedrohung darstellen.
Er schlängelte sich auf den inzwischen vertrauten Einbahnstraßen durchs Menschengewimmel - von hinten konnte niemand mit einer Vespa oder einem Wagen auftauchen -, so daß er sich nach zehn Minuten oben auf der Piazza Verdi befand. Kurze Zeit später saß er in dem Restaurant, das er für seinen besonderen Zweck ausersehen hatte, der Pizzeria 59. Da es für sizilianische Verhältnisse noch recht früh am Abend und zudem immer noch warm war, hatte er keine Mühe, den Tisch genau in der Ecke des Vorgartens zu bekommen, der ihm am besten zusagte. Er bestellte ein Pastagericht und bat um eine halbe Karaffe Wein, den er mehr als Requisite denn als Getränk auf dem Tisch haben wollte.
Er sah sich zufrieden um und ging in Gedanken noch einmal die Situation durch.
Hinter sich hatte er einen kleinen, von einem schmiedeeisernen Zaun umgebenen Garten. Dort konnte niemand herüberklettern, ohne daß man es merkte. Der Zaun war außerdem hell erleuchtet, da am anderen Ende des Gartens eine Banca Populare lag. Der Gartenteil des Restaurants wurde von einem Netz aus grobem Stahldraht begrenzt, der mit einer Art wildem Wein dicht überwuchert war.
Von Carls Platz waren es sieben Meter bis zu dem einzigen Zugang zum Lokal, einem breiten, mit Steinfliesen ausgestatteten Eingang. Grüne Tischtücher, wie ihm plötzlich auffiel, die gleiche Farbe, die Chirurgen heutzutage verwenden. Lag es etwa daran, daß man auf Grün das Blut weniger grell sieht?
Falls es so war, war Grün eine passende Farbe.
Das Ristorante Pizzeria 59 schien ein beliebtes Lokal zu sein. Für Carls Zwecke war es jedoch ebenfalls hervorragend geeignet. Da war allein schon die Tatsache, daß hinter dem Drahtzaun mit dem wilden Wein noch eine hohe Steinmauer um den Garten herum verlief. Er war also auf zwei Seiten durch die Mauer geschützt. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite des Eingangs, erstreckte sich eine schmale Gasse, aber auch von dort war jeder Einblick wegen des dichten Grüns unmöglich. Der breite Eingang war der einzige Zugang. Anders konnte niemand hereinkommen.
Carl zog den Tisch etwas näher an sich heran, versteckte die Knie unter dem Tischtuch, zog seine Pistole heraus und legte sie auf die Knie und das Telefon auf den Tisch. Von Zeit zu Zeit
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