Unternehmen Vendetta
in einem zweiten Schritt alle festnehmen zu lassen, die auch nur so aussahen, als wären sie mafiosi. Schritt drei: sie zu foltern. Am beliebtesten war eine Methode, die man damals la cassetta nannte. Man folterte die Leute, bis sie entweder starben oder gestanden.
Auf diese Weise ist es natürlich zu einigen Geständnissen gekommen. Die wiederum waren Grundlage neuer Verhaftungswellen, und nach einiger Zeit begann die Mafia, sich relativ ruhig zu verhalten. Insoweit war alles bestens geregelt. Vorausgesetzt, wir diskutieren jetzt nur über das rein operative Problem.
Aus bekannten äußeren Gründen verlor Benito Mussolini jedoch die Macht. Das hatte zur Folge, daß auf Sizilien die Aktien der Demokratie, besonders der westlichen Demokratie und ganz besonders der amerikanischen westlichen Demokratie, einen kräftigen Kurssprung erlebten. Als die Amerikaner an Land gingen, hatten sie nach kurzer Zeit überall Mafiosi als Kundschafter und Wegweiser. Innerhalb weniger Monate hatte die amerikanische Besatzungsmacht in mehr als der Hälfte der kleinen und größeren Städte Siziliens mit der Mafia verbundene Bürgermeister eingesetzt. Im übrigen hatten die Engländer, die an der Nordküste der Insel gelandet waren, jedoch ohne Kontakte zur Mafia und ohne deren Vertrauen, ungeheure Mühe mit ihren Operationen, da alle gegen die Engländer Widerstand leisteten. Wie sehen also die Probleme der Demokratie aus?«
Die plötzlich hinausgeschleuderte Frage schwebte kurz in der Luft, bis Joar, der im Augenblick bei den Spaghetti besser im Rennen lag als Carl, sich fing. Er erwiderte etwas von Rechtssicherheit und sagte, es sei wichtig, zu den eigenen Bedingungen zu siegen, nämlich nach genau den Regeln, die für die gesamte Gesellschaft zu gelten hätten.
Joar heimste erneut einen Schauer lobender Worte ein. Genauso sei es. Falls man das Mafia-Problem als eine einfache Frage möglichst vieler Abschüsse sehen wolle, werde der Staat kraft seiner effektiveren militärischen Organisation und seiner überlegenen Feuerkraft schnell als Sieger dastehen. Aber wolle man einen solchen Sieg?
»Nein und nochmals nein«, gab sich der Oberst selbst die Antwort, »und auf diese Frage ist Mussolini selbst die Antwort. Selbst wenn man die Begeisterung der Mafia für die Demokratie in Rechnung stellt. Außerdem steuern sie auch die Wahlen auf Sizilien. Jedermann weiß, daß Sizilien auf ewig christdemokratisch bleiben wird.
Also, was tun?«
Diesmal wurde die Frage an Carl gerichtet, als wäre es nicht mehr sportlich, Joar in Bedrängnis zu bringen. Carl wurde dadurch gerettet, daß die Spaghettireste hinausgetragen und die nächsten Platten hereingebracht wurden. Es waren involtini alla siciliana, panierte Grillspieße aus Kalbfleisch mit Paprika und Zwiebeln. Die überschwenglichen Empfehlungen und Erklärungen des Gastgebers sowie die Tatsache, daß neuer Wein eingeschenkt wurde, gaben Carl eine sehr notwendige Denkpause.
»Also, was tun?«
Carl leitete seine Antwort mit der vorsichtigen Bemerkung ein, er sei ebenfalls der Meinung, daß ein allgemeiner Abschuß nicht zu empfehlen sei. »Sollte man nicht eine langfristige Strategie entwickeln? Sollte man nicht lieber gegen die Einkünfte des organisierten Verbrechens zuschlagen und der Mafia die ökonomische Grundlage entziehen?«
Der Oberst lachte so sehr, daß er viel Wein vergoß. Auf dem Tischtuch bildeten sich große rote Flecke.
»Aber ja, die Idee ist vollkommen richtig. Haben Sie sich möglicherweise schon gefragt, meine Herren, wie es kommt, daß ich einigermaßen fließend englisch spreche? Ich habe früher nämlich sechs Jahre lang in New York als Verbindungsmann zwischen DEA, FBI und den entsprechenden italienischen Behörden Dienst getan.
Das Fundament dieser Leute ist Heroin. Das Rohmaterial kann in Form von Morphinbase aus der Türkei, dem Libanon, aus Afghanistan sowie aus dem Goldenen Dreieck kommen. Große Teile der Morphinbase werden hier auf Sizilien weiterveredelt, und zwar in Mafia-eigenen Raffinierien. Dann geht die Ware weiter nach Marseille und in die USA. Und wie geht man dieses Problem an?«
Diesmal wurde die Frage erneut an Joar gerichtet. Er erwiderte, mit diesem Wissen solle man permanent eine operation search and destroy verfolgen, die Raffinerien ausfindig machen und sprengen, eventuell buchstäblich.
Joars anscheinend selbstverständliche und logische Antwort löste beim Gastgeber erneut Heiterkeit aus.
Da Piemonte fing sich wieder und erklärte:
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