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Unternehmen Vendetta

Unternehmen Vendetta

Titel: Unternehmen Vendetta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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den Marmorfußboden, als wäre die Kleine ein Spielzeug.
    Er trat langsam an die Balustrade, und als er sie erreichte, stützte er sich mit den Ellbogen schwer auf die Steinmauer und winkte seinen Gästen zu, sie sollten sich neben ihn stellen. Carl und Joar wechselten einen schnellen Blick, traten zu Don Tommaso und nahmen ihn in die Mitte. So war zumindest einer von ihnen außer Reichweite der Maschinenpistole des jetzt heftig schwitzenden Mannes, der sich Giulio nannte.
    Sie blickten mindestens sechzig Meter in die Tiefe. Die senkrechte Felswand endete in der Brandung, wo das Meer gegen den zerklüfteten Fels prallte. Die letzten zehn Meter bis zu der Position, an der sie standen, waren mit der blanken und völlig glatten Marmorfassade des Hauses verkleidet.
    »Da hinten«, begann Don Tommaso mit einem tiefen Seufzer und zeigte, »da hinten liegt Castellammare. Dort habe ich meine Kindheit verbracht. Dort habe ich zum ersten Mal gestohlen. Dort habe ich zum ersten Mal einen Raubüberfall begangen, und dort habe ich zum ersten Mal einen Mann erschossen. Ich weiß nicht, ob Sie Skandinavier überhaupt begreifen, wovon ich jetzt spreche?«
    »Sie sind nicht nur ein Entführer, sondern auch ein Dieb und Mörder?« sagte Carl mit gespielter Überraschung.
    Don Tommaso schüttelte den Kopf. Er machte ein Gesicht, als hätte er von einer unendlich naiven Person soeben etwas unglaublich Dummes gehört.
    »Mein lieber Comandante«, sagte er mit einem schweren Seufzer, »Damit haben Sie Ihre Pointe nach Hause gebracht. Ich begreife Ihren Stil, und wir verstehen einander. Aber ich bin Ihr Gastgeber und versuche anständig zu sein und Sie gut zu behandeln. Können Sie dieses dämliche Gequatsche nicht mal lassen und mir zuhören? Das ist doch nicht zuviel verlangt?«
    »Der Protest wird akzeptiert«, erwiderte Carl tonlos.
    »Na also. Übrigens: Haben Sie die Waffe im Handschuhfach des Wagens nicht gefunden?«
    »Doch, aber wir hatten keine Verwendung dafür. Vielen Dank für Ihre Mühe.«
    »Wenn wir einander respektieren sollen, Comandante, müssen wir offen zueinander sein, im großen wie im kleinen. Sie haben den Kracher also nicht gefunden?«
    »Doch. Er lag im Handschuhfach. Es war eine Beretta 92 in gutem Zustand. Sie sah neu aus, hatte fünfzehn Schuß im Magazin und einen im Lauf. Die Munition war von italienischem Armeetyp.«
    Carl seufzte, als machte es ihn ungeduldig, seine Zeit mit Banalitäten zu vergeuden. Don Tommaso ließ ebenfalls einen tiefen Seufzer hören, sah jedoch gleichzeitig zufrieden aus.
    »Ist Ihnen nie der Verdacht gekommen, daß der Wagen präpariert sein könnte?« gluckste Don Tommaso.
    »Doch, natürlich«, erwiderte Carl sichtlich gelangweilt, »aber in dem Fall hätten Sie uns eine Bombe in die Polsterung praktiziert, die man irgendwo bei Augenkontakt per Funk zur Detonation gebracht hätte. Sonst gab es nichts im Wagen, beispielsweise war nichts an die Zündung gekoppelt. Außerdem ist das eine ziemlich akademische Frage. Was für einen Sinn hätte es haben sollen, uns in die Luft zu sprengen, bevor wir einander überhaupt zugehört hätten?«
    »Nun, das war nur für den Fall, daß Sie die Carabinieri im Schlepptau gehabt hätten, aber das hatten Sie ja nicht«, seufzte Don Tommaso mehr wegen der Hitze als wegen des Themas.
    »Nun ja, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, Castellammare. Die Stadt meiner Kindheit. Mein Onkel war Don Crozio. Ich weiß nicht, ob Sie schon von ihm gehört haben? Er war jedenfalls ein wunderbarer Mann. Als einer meiner dreisten Vettern einmal die Tochter eines armen Hirten hier oben in den Bergen verführt hatte, begab sich der Hirte zu Don Crozio und legte ihm das Problem vor. Don Crozio rief den Vater des Lümmels zu sich und führte ein freundliches Gespräch mit ihm, worauf das junge Paar heiratete. Sie sind immer noch verheiratet und haben sieben oder acht Kinder. Sie wohnen dort unten in der Stadt. Das, was Sie Mafia nennen, ist viel mehr und auch viel weniger, als Sie sich vorstellen.«
    »Sie haben offensichtlich lange in den Staaten gelebt, Don Tommaso. Sind Sie nach Hause gekommen, um auf Sizilien zu sterben? Nein, das soll keine Ironie sein, ich möchte nur gern wissen, wie Sie denken.«
    »Kommen Sie«, entgegnete Don Tommaso gedehnt, als hätte ihn plötzlich Müdigkeit befallen. »Kommen Sie, lassen Sie uns wieder in den Schatten gehen.«
    Auf dem Weg zum Tisch entdeckten sie, daß die Vorspeisen unmerklich abgeräumt worden waren, und wie

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