Unterwegs in der Weltgeschichte
aufsteigen, den Friedrich und sein Vater aus ihm gemacht haben?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Gefragt wird in dieser Zeit sowieso nicht. Gewiss, einem Volk bekommt es nicht schlecht, »Weltgeltung«, oder was man dafür hält, zu erlangen. Aber weià das Volk überhaupt davon? Profitiert es? Hat der Kleinbauer im Brandenburgischen etwas davon, wenn sich sein Land den Status einer europäischen GroÃmacht zulegt? Immerhin: Jetzt muss er Kartoffeln anbauen und lernt sie schätzen. In der Realität erlebte der gehorsame Untertan die »groÃe Politik« doch nur so, dass er mit seiner eigenen Haut drei Kriege abwettern musste, darunter gar einen furchtbaren siebenjährigen, der ihm höchste Entbehrungen abverlangte und lange aussichtslos schien.
Nein, die Staatspolitik dieser Zeit verläuft zwar »aufgeklärter«, zwar rationaler als in den Jahrhunderten der Glaubenskriege. Aber sie ist keineswegs eine Umsetzung des Volkswillens. Bürger und vor allem Bauern bleiben bei der politischen Meinungsbildung auÃen vor. Politik ist immer noch das exklusive Spiel einer adeligen Elite, die sich nach eigenem Gusto am Volksvermögen bedient, zu dem auch die Körper der Menschen zählen. Allein siebzig Prozent des Staatsetats lenkt Friedrich in den preuÃischen Militärhaushalt. Und im europäischen Machtpoker dieser Zeit nutzt er zudem jede Möglichkeit zum Falschspiel. Friedrich begreift schnell, dass Politik ein schmutziges Geschäft ist, und bedient als preuÃischer König kaltblütig und routiniert die Hebel der Macht. Schon ganz zu Anfang, kurz bevor er in Schlesien einfällt, lässt er von seinen Winkeljuristen eine staatsrechtliche Begründung für den geplanten Ãberfall zusammenschustern. Als er dieses diplomatische Feigenblatt zu Gesicht bekommt, ruft er aus: »Bravo, das ist das Werk eines tüchtigen Scharlatans!«
Aber damit war auch er selbst zum Scharlatan geworden. Er, der noch ein paar Jahre zuvor als feuriger Jüngling einen glühenden »Anti-Machiavell« verfasst hatte, war in eine moralische Schieflage geraten, hatte fadenscheinige Vorwände gesucht und gefunden, um mit Waffengewalt durchzusetzen, was allein ihm nutzte. Und die zeitweilige Schwäche Ãsterreichs verleitete zu diesem politischen Schnäppchen.
Aber wenn Sie, lieber Leser, an Fortschritt im Zuge der menschlichen Geschichte glauben, dann können Sie tatsächlich jetzt einen ausmachen. Es gibt da etwas, was Friedrich von all seinen Vorgängern unterscheidet: Friedrich erkannte die Fragwürdigkeit seines Handelns und machte seine Skrupel sichtbar â sich selbst gegenüber wie seinen Mitmenschen. »Ich hoffe«, so schreibt er bereits 1743, »die Nachwelt wird bei mir den Philosophen vom Fürsten zu unterscheiden wissen und den Ehrenmann vom Politiker. Ich muss gestehen: Wer in das Getriebe der groÃen europäischen Politik hineingerissen wird, für den ist es sehr schwer, seinen Charakter lauter und ehrlich zu bewahren.« Der Mann spricht Klartext. Und weiter: Die »politische Kunst erscheint, wie ich gestehe, vielfach als das Gegenteil der Privatmoral. Sie ist aber die Moral der Fürsten, die immer nur das tun, was ihnen den Vorteil erheischtâ¦Â«. Da ist Friedrich, der ehemals glühende Anti-Machiavellist, als Realpolitiker dann doch wieder bei Machiavelli angekommen, dem skrupellosen Politiker-Coach des
16. Jahrhunderts.
Der Unterschied freilich liegt darin, dass Friedrich die politische Unmoral transparent macht. Sie bewusst durchdringt. Und daran leidet. Mit dieser Zweiteilung im Herzen kann man dann wohl nicht anders, als im Alter resignativ, bitter, sarkastisch und von der Menschheit im Ganzen enttäuscht zu sein. Man beschäftigt sich dann lieber mit Tieren als mit Menschen. So wie der Alte Fritz mit seinen geliebten Windhunden. »Aufgeklärter Absolutismus« nennt sich diese Form einer vernünftigen, aber dennoch traditionell-monarchischen Regierungsarbeit, die bei Friedrich in weltanschaulichem Pessimismus endete.
Immerhin: Einer seiner letzten groÃen Wünsche ging doch noch spät in Erfüllung, als man endlich 1991 seine sterblichen Ãberreste auf die Höhenterrasse von Schloss Sanssouci umbettete. Jetzt musste er nicht mehr neben seinem ungeliebten Vater in der Potsdamer Garnisonkirche liegen, sondern war in ersehnter Nachbarschaft: neben seinen besten Freunden, seinen
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