Unterwegs in der Weltgeschichte
eher zur akustischen Abschreckung des Feindes eingesetzt worden, Sultan Mehmed aber lieà sich von ihrer Funktion als Kriegswaffen überzeugen, die sich in der offenen Feldschlacht, aber erst recht bei der Belagerung von Festungen einsetzen lieÃen.
Also ging Urban ans Werk, um seinen Arbeitgeber mit einer starken Artillerie zu versorgen. Der Sultan, der ein Technik-Freak war, schaltete sich persönlich in die Kaliberdefinitionen und die Ballistikberechnungen ein. In einem Dreivierteljahr entstanden ab Mitte 1452 in Urbans Werkstatt 69 Kanonen mit unterschiedlicher Feuerkraft, darunter riesige, nie zuvor gesehene Geschütze. Das gröÃte von ihnen, das sogenannte Konstantinopel-Geschütz, hatte eine Rohrlänge von über acht Metern und einen Durchmesser von 75 Zentimetern. Der Sultan hatte Glück, dass sein Feuerwerker erst nach der Fertigstellung des Waffenparks starb (an einem Rohrkrepierer). Er war von Urbans Arbeit begeistert. Beruhigt, was die kommende Schlacht anging, war er noch immer nicht.
Das schafften auch die serbischen Mineure nicht, die Mehmed angeworben hatte, um durch Tunnelgrabungen und unterirdische Explosionen die Festungsmauern zum Einsturz zu bringen oder wenigstens zu beschädigen. Der Sultan war sich darüber im Klaren, dass dies auf der Gegenseite auch geschehen und der Kampf dann unter Tage fortgesetzt würde. Auch die osmanische Kriegsflotte, die mittlerweile weit über hundert Schiffe aufbieten konnte, schaffte es nicht, ihn in Sicherheit zu wiegen. Er kannte die Kampfstärke der feindlichen Boote, und vor allem kannte er die massive Sperre, die die Byzantiner errichtet hatten, um die türkische Flotte am Einlaufen in das Goldene Horn zu hindern.
Deshalb hatte er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Sultan Mehmed neigte allerdings nicht dazu, seine Pläne frühzeitig an seine Kriegsherren weiterzugeben. Vor allem nicht, wenn sie so verwegen waren wie jetzt. So waren zunächst die eigenen Truppen verwirrt, bevor auch die Belagerten fassungslos mit ansehen mussten, was sich auf dem Bergrücken des Goldenen Horns abspielte: Die türkischen Schiffe segelten auf dem Landweg in Richtung Festung.
Der osmanische Chefbelagerer hatte die Quadratur des Kreises geschafft, indem er eine SchiffstransportstraÃe anlegte, um die gesperrte Hafeneinfahrt zu umgehen. Bergaufwärts wurde eine Fahrrinne gegraben und mit Balken ausgelegt. Dann wurde das Holz mit einer dicken Fettschicht überzogen. Mit im Wind flatternden Segeln und der Unterstützung durch sechzig Ochsen sowie zahlreiche Seeleute der Kriegsflotte, die die Seile zogen, glitten die Schiffe wie Schlitten den Berg hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter.
Das Unternehmen lief wie geschmiert und versetzte den Byzantinern einen Schock. Ihre Boote konnten nun die Häfen im Goldenen Horn nicht mehr verlassen. AuÃerdem mussten sie Truppen heranführen, um die Frontmauern der nun fast völlig umzingelten Stadt auch nach dieser Seite hin zu sichern â Truppen, die an anderer Stelle Lücken rissen.
Die christliche Festung Konstantinopel konnte sich noch weitere fünf Wochen, bis zum 29. Mai 1453, halten. Aber das waghalsige Unternehmen der Türken, eines der merkwürdigsten maritimen Manöver der Kriegsgeschichte, war so etwas wie der Anfang vom Ende.
Mindestens ebenso merkwürdig mutet etwas anderes an: Wie hatte sich nach dem Untergang des Weströmischen Reiches der oströmische Teil mit seiner Hauptstadt Konstantinopel â zumindest staatsrechtlich â noch ein ganzes Jahrtausend halten können? Kurzer Rückblick auf ein erstaunlich langlebiges Provisorium.
Natürlich könnten Sie auch »Byzanz« sagen. Dieser Name ist, wie Sie gemerkt haben, gleichbedeutend mit der Bezeichnung »Konstantinopel« und wurde in der Neuzeit rückblickend auf das ganze Oströmische Reich ausgedehnt. Byzanz war in seinen Anfängen im sechsten Jahrhundert geprägt von römischem Staatswesen, christlicher Religion und hellenistischer, das heiÃt griechisch inspirierter Kultur. Seine Einwohner fühlten und bezeichneten sich selbst als Römer und erlebten unter Justinian I. (527â 565) einen markanten Aufschwung ihres Reiches. Seine Feldherren Belisar und Narses konnten Teile Nordafrikas von den Vandalen, einige Gebiete Italiens von den Ostgoten und den Südosten Hispaniens von den Westgoten zurückerobern. Damit war Justinian ein
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