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Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
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Marco Polo so fantastisch, dass manche Forscher geglaubt haben, er sei niemals in China gewesen. Vielmehr sei er über die Krim und Konstantinopel nie hinausgekommen und habe aus persischen Quellen abgeschrieben. Aber solche gab es nicht. In jedem Fall haben die Beschreibungen, auch wenn sie viele Beobachtungen anderer Reisender enthalten sollten, das Verhältnis des alten Europa zu den neuen Welten im Osten und mittelbar auch im Westen grundlegend verändert: Im geschlossenen Kosmos des Mittelalters werden auf einmal Fenster und Türen zu anderen, unbekannten Räumen geöffnet.
    Dank der Dynamik der mongolischen Herrschaft florierte die Seidenstraße mehr denn je. Für manche Reisende erwies sich allerdings der Weg nach Fernost nicht nur als strapaziös, sondern auch als gefährlich und mitunter tödlich. Wo hochwertige Güter auf kalkulierbaren Routen befördert werden, siedeln sich Profiteure und Nutznießer an, harmlose, aber auch gewalttätige.
    Raubüberfälle an der Seidenstraße waren deshalb allgegenwärtig. Die Räuber lauerten den Karawanen an den Engpässen der Streckenführung auf, wo die Beute besonders leicht zu greifen war. Bereits die Kaiser der Han-Dynastie, die die Entwicklung Chinas vom Ende des dritten vorchristlichen bis zum Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts entscheidend geprägt hat, waren um die Sicherheit ihrer Handelswege besonders besorgt. Sie erweiterten die Große Mauer entlang bestimmter Teilstrecken der Seidenstraße und leisteten sich spezielle Verteidigungsarmeen, um die Räuberei einzudämmen.
    Die Erweiterung des Weltbildes erfolgte gleichzeitig in einem anderen Teil der Erde, in dem nicht Wüstenschiffe, sondern Hochseekoggen unterwegs waren: dem Handelsnetz der »Deutschen Hanse«, die im 14. und 15. Jahrhundert Nord- und Ostsee beherrschte. Die Fundamente dieser mächtigen, weitgespannten Wirtschaftsgilde waren allerdings wesentlich früher geschaffen worden. Schon im elften Jahrhundert hatten sich Kölner Kaufleute in London, der europäischen Handelsmetropole, einen privilegierten Stützpunkt erworben. Ihnen schlossen sich bald darauf Fernhändler aus Westfalen, vom Niederrhein und aus Niedersachsen an. Mit ihren seetüchtigen Koggen transportierten sie Pelze und Wachs aus Russland und Osteuropa, Getreide aus Ostdeutschland und Polen, Fisch aus Skandinavien, Salz aus Lüneburg, Wein aus Frankreich und den Rheinlanden. Angeführt von der Hansestadt Lübeck, wurde die Kaufmannsgilde immer größer, gab sich eigene Maße, Gesetze und Gerichte, nahm bald auch politischen Einfluss, schloss Verträge mit ausländischen Herrschern und führte Kriege, als ob sie ein selbstständiger Staat wäre.
    Als Staat im Staate und wie eine Made im Speck fühlten sich zugleich die gut organisierten Piraten, die ebenfalls Politik betrieben, geschickt zwischen den Handelsmächten lavierten und häufig sogar die Seehoheit an sich rissen. Von den Kaufleuten gefürchtet und verachtet, konnten sie bei den weniger begüterten Bürgern, denen die »Pfeffersäcke« suspekt waren, durchaus Sympathien gewinnen. Der Schritt vom Freibeuter zum Volkshelden, zu einer Art Schinderhannes des Nordens, gelang vor allem Klaus Störtebeker und seinen (nach dem Synonym für Lebensmittel benannten) Vitalienbrüdern .
    Aber im Jahr 1400 – mit achtzig angeschlossenen Städten war die Hanse auf dem Höhepunkt ihrer Macht – hatte der Spuk ein Ende. Die »Bunte Kuh«, eine der modernsten Kriegskoggen der Bündnisflotte, spürte das auf »Roter Teufel« getaufte Seeräuberschiff vor Helgoland auf, und die beiden meistgesuchten Piraten, Klaus Störtebeker und Godeke Michels, gerieten in Gefangenschaft. Im Jahr 1401 wurden sie mit einem Großteil ihrer Mannschaft hingerichtet, aber vorher soll Störtebeker noch die Armenspeisung in Verden an der Aller gestiftet haben. Seit dem 16. Jahrhundert lebt er in Liedern und Gedichten fort.
    Die vitale Hanse und die pulsierende Seidenstraße: Symptome einer Veränderung, die den ganzen Globus umgreift. Das Interesse der Menschen wendet sich dem Diesseits zu: dem wirtschaftlichen Wachstum, dem Handel, der Entdeckung unbekannter Länder. Das spürt auch die Kirche, der sich die Bürger zu entfremden beginnen.
    Die Umrisse einer globalen, erdumspannenden Zivilisation werden erkennbar. Aber sie zeigen sich nicht nur

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