Unterwegs in der Weltgeschichte
Feudalherren sind auf Gedeih und Verderb von ihnen abhängig.
Die Not treibt die Menschen dazu, nur noch das eigene Leben retten zu wollen. Sie verweigern Hilfe, auch aus Angst vor Ansteckung. Die Infizierten werden ausgegrenzt und sich selbst und dem Tod überlassen. Weil niemand die Art und Ursache der Seuche erklären kann, wird sie als Strafe Gottes und als Anzeichen des Weltuntergangs und des Jüngsten Gerichts aufgefasst. Der Aberglaube gebiert die absurdesten Erklärungen und Behandlungsmethoden. Auf der Suche nach Sündenböcken werden Juden, Zigeuner oder Behinderte als Ursache ausgemacht und entweder getötet oder gezwungen, die Leichen von den StraÃen zu holen, zu bestatten oder zu verbrennen.
Aber eine »Branche« boomt: Die Auswirkungen auf den muslimischen Sklavenmarkt sind gewaltig. Ãberall an der Mittelmeerküste von Ãgypten über Kreta bis Spanien schnellt der Preis für ausländische Sklaven in die Höhe. Sklavenhändler, die nicht selbst der Seuche zum Opfer gefallen sind, erzielen auf Jahrzehnte hinaus Rekordgewinne.
Es gab allerdings auch Respekt gebietende Versuche, die Folgen der mörderischen Infektionskrankheit einzuschränken und die Menschen vorbeugend zu beschützen. Ein Beispiel ist die Stadt Venedig, die 1403 eine Insel in der Lagune als Quarantänestation und Hospital einrichtete. Das Kloster auf dieser Insel hieà nach dem biblischen Lazarus Lazaretum , wovon sich bis heute der Ausdruck »Lazarett« ableitet.
Die Ãngste und Irrtümer sind in das kollektive Gedächtnis der Menschen in Europa eingegangen. Das Trauma, Opfer einer unbekannten Seuche zu werden, ist bis in die Gegenwart geblieben, zumal da der Pesterreger erst 1894 entdeckt wurde. Der Schweizer Tropenarzt Yersin und der Japaner Kitasato konnten nahezu gleichzeitig, aber unabhängig voneinander den Pesterreger isolieren.
23. Das groÃe Leuchten
D er Mont Ventoux , wörtlich »windiger Berg«, ist der heilige Berg der Kelten, der »König der Provence«. Von keinem anderen Gipfel kann man bei klarer Sicht gleichzeitig die Schneeriesen der Alpen, das Mittelmeer und die Pyrenäen erblicken. Aber auch der Blick zum Mont Ventoux hat seinen Reiz, besonders wenn er in der Abendsonne zu leuchten beginnt.
Ein Moment der Erleuchtung war es auch, der mehr aus ihm machte als einen Berg unter Bergen. Ein Schlüsselmoment an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit. Ein Schritt in eine neue, glanzvolle Epoche, die man später Renaissance nennen wird.
Der Schrittmacher der Zukunft hieà Francesco Petrarca, italienischer Dichter, geboren 1304 in Arezzo, später in Avignon zu Hause. Am 26. April 1336 bestieg er mit einigen Begleitern den 1912 Meter hohen Mont Ventoux â aus purer Neugier, aus Entdeckungslust, aus Freude am Leben. Die Erleuchtung, die ihm zuteilwird, ist doppelter Art: Sie erwächst aus der Landschafts- und Naturerfahrung, und sie mündet zugleich in eine Rückwendung auf das Selbst, das zu solchen Erlebnissen fähig ist. Das Ich und die Welt schlieÃen einen neuen Pakt. Der Blick in die Natur fällt zusammen mit den »Erregungen des Herzens«.
»Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die breit dahinflieÃenden Ströme, die Weite des Ozeans und die Bahnen der Gestirne, und vergessen darüber sich selbst.« Klagt der Kirchenvater Augustinus, dessen Zeilen der Bergwanderer bei sich trug. Das soll nun nicht mehr passieren. Naturerlebnis und Selbsterfahrung, Weltoffenheit und Bewusstseinserweiterung gehören zusammen. Es ist der Vorabend der Renaissance.
Und das Mittelalter wird verabschiedet. Nicht mit Pauken und Trompeten und nicht Knall auf Fall. Auch nicht von allen. Ein GroÃteil der Bevölkerung wird zunächst weiterhin in seiner herkömmlichen, eng begrenzten Welt verharren. Der Fortschritt kommt im Schneckentempo, aber er ist nicht umkehrbar.
Die Speerspitze des neuen Denkens (und Fühlens) bilden wache, hellsichtige Denker, die sich später Humanisten nennen sollten. Die Bezeichnung leitet sich vom lateinischen humanus ab, welches bedeutet »den Menschen betreffend, menschlich, menschenfreundlich«. Das Wort ist selbsterklärend, es ist Programm. Der Mensch steht nun im Mittelpunkt: als ein freies, vernunftbegabtes, selbstbewusstes Wesen, das seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten uneingeschränkt entfalten darf, ja soll.
Das sind
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