Unterwegs in der Weltgeschichte
Strudeln, studiert den Flug und die Schwingen der Vögel, entwickelt Modelle von Flugmaschinen und Unterwasserbooten, die nachfolgende Generationen von Ingenieuren inspirieren. Seiner Auffassung nach müsse der Künstler sich mit der Natur auseinandersetzen, mit ihr wetteifern. Dann könne es ihm gelingen, den göttlichen Schöpfungsprozess nachzuvollziehen.
Mit ihm selbst wollte allerdings niemand wetteifern. Wer könnte gegen dieses Prachtexemplar eines Renaissance-Menschen schon bestehen! Ein normaler Sterblicher, werden Sie zu Recht sagen, jedenfalls nicht. Der, von dem jetzt die Rede ist, hat es deshalb auch gar nicht erst versucht. Er hat sich auf die andere Seite des menschlichen Spektrums geschlagen und sich dort ebenfalls extrem positioniert.
Es handelt sich um Cesare Borgia, den unehelichen Sohn Papst Alexanders VI. , dessen Biografie am besten in Form eines Steckbriefs abgefasst werden kann, in den man aber die monströse Karriere seines Vaters gleich mit einflechten sollte. Alexander VI. , der 1492 durch Stimmenkauf auf den päpstlichen Stuhl kam, gehört zur skrupellosen Spezies der Renaissance-Menschen. Er begriff das Papsttum, das unter seinem Pontifikat ein Höchstmaà an »Verweltlichung«, Korruption und Dekadenz erreichte, als politische Institution, als durchaus diesseitigen Machtfaktor im italienischen und europäischen Kräftespiel. Um diese Macht zu sichern, war ihm jedes Mittel recht. Mit Hilfe seines Sohnes vergiftete er politische Gegner, kaufte Kurtisanen, kassierte Fremdvermögen und lieà den Nepotismus, die Vetternwirtschaft, hochleben.
In Kenntnis dieser Karriere können wir mit Cesare kurzen Prozess machen und der Einfachheit halber die volle Skala der sieben Todsünden, angeführt von der Ermordung des Schwagers und Bruders, pauschal für ihn in Anspruch nehmen. Mit 18 Jahren wurde er Kardinal, was seinen Ehrgeiz und seine Gier nach Ruhm aber nicht befriedigte. Im Zuge seiner politisch-militärischen Laufbahn unterwarf er mit gröÃter Brutalität die kleineren Feudal- und Stadtherrschaften im Gebiet des Kirchenstaates, scheiterte aber mit seinem Plan, sich ein eigenes Königreich in Mittelitalien einzurichten.
Für den groÃartigen Renaissance-Kenner Jacob Burckhardt war Cesare Borgia der »groÃe Verbrecher«, Urbild des vitalen, lebens- und machthungrigen Gewaltmenschen. Mittlerweile aber zeigt sich, dass zumindest ein kleiner Teil zeitgenössischer und zeitübergreifender Verleumdung bei den Verdammungsurteilen für Vater, Sohn und insbesondere auch Tochter Lucrezia Borgia in Abzug zu bringen ist. Zugunsten Alexanders VI. wird auch der epochemachende Schiedsspruch von 1493 ins Feld geführt, der die Demarkationslinie zwischen den Besitzungen der Kolonialmächte Spanien und Portugal in der Neuen Welt bestätigte. Und die glänzende persönliche Ausstrahlung des Cesare Borgia hat ihm nicht nur hervorragende Offiziere und Soldaten zugeführt, sondern selbst Leonardo da Vinci, den anderen »Ãbermenschen« dieser Ãra, beeindrucken können. Aber auch die beachtliche mäzenatische Funktion für die schönen Künste, die die Familie groÃzügig wahrnahm, hat ihre Wertschätzung nicht wesentlich erhöht. Noch immer stehen die Borgias für die monströs-düstere Abteilung der renaissancetypischen Diesseitigkeit.
Als Alexander VI. 1503 an Malaria starb, brach in Rom Jubel aus. Die Verachtung für sein Pontifikat, das die territoriale Macht des Kirchenstaates stärkte, aber die Würde des Papsttums nachhaltig beschädigte, hatte längst auch die breite Bevölkerung erreicht. Seine Gemächer im Vatikan wollte seither kein Papst mehr bewohnen.
Der ärgste Widersacher und unbequemste Gewissensmahner Alexanders VI. konnte allerdings nicht mehr mitjubeln. Der rachsüchtige Papst, der ihn zunächst mit dem Kardinalshut hatte kaufen wollen, lieà ihn, als dies misslang, foltern und hinrichten. Es handelt sich um den Dominikanermönch Savonarola, der in Florenz mit groÃem Zulauf BuÃpredigten abhielt und den luxuriösen Lebensstil der gesellschaftlichen Elite anprangerte. In einer Art Kulturrevolution konnte er die Jugend der Stadt dafür gewinnen, alle Erscheinungsformen des eitlen und nutzlosen Lebens zu beschlagnahmen und auf einem gewaltigen Scheiterhaufen mitten in der Stadt auf der Piazza della Signoria in einem »Fegefeuer der
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