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Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition)

Titel: Unterwegs: Politische Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruge
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bei der Trauerfeier, ohne zu wissen, was draußen vorging. Die Dichterin Bella Achmadulina sollte im Saal die Gedenkworte sprechen. Uns draußen schien es, man müsse ihr zumindest mitteilen, wie brutal die Miliz gegen die jungen Leute auf der Straße vorging. So versuchten zwei Kollegen und ich – ein wenig durch Wodka ermutigt, das schien uns am Tag der Beisetzung Wyssozkis doch angebracht –, durch die Reihen der KGB -Leute zum Theatereingang zu kommen. Irgendwie gelangte ich in das Foyer, doch ein paar Polizeioffiziere hielten mich fest, und der Verwaltungsdirektor des Theaters schob mich durch eine Seitentür wieder auf die Straße. Andere Korrespondenten hatten diese Rangelei mit den KGB -Leuten beobachtet. Sie gingen fest davon aus, dass wir am nächsten Morgen ins Außenministerium zitiert und getadelt, wenn nicht gar ausgewiesen würden. Doch nichts dergleichen geschah. Als ich am nächsten Morgen meine Wohnung verließ und über den Hof zum Studio gehen wollte, winkte mich ein Polizeiposten heran. »Sie haben doch diesen Barden, diesen Wyssozki, gekannt«, sagte er. »Haben Sie Platten von ihm? Können Sie uns die für ein paar Tage leihen?« Ich holte ihm zwei Schallplatten aus meiner Wohnung, und er war sehr zufrieden. Wahrscheinlich hat er sie auf Tonband kopiert und seinem Vorgesetzten verehrt, meinte später ein russischer Kollege.
    1979 reiste der Intendant des WDR zu einem offiziellen Besuch beim sowjetischen Fernsehen nach Moskau, und wir vom ARD -Studio wollten den Anlass nutzen, um möglichst viele Vertreter des Außenministeriums, der Künstlerverbände, der Stadtverwaltung und auch der Überwachungsorgane zu einem Empfang einzuladen. Es war eine Gelegenheit, mit der offiziellen Sowjetunion einen Kontakt herzustellen. Im Hotel Metropol hatte ich bei einem Vorbereitungsgespräch festgestellt, dass wegen unseres Empfangs die Vorstellung einer neuen Zeitschrift, die eigentlich in dem Saal hätte stattfinden sollen, abgesagt worden war. Eine Gruppe bekannter Schriftsteller hatte die Literaturzeitschrift Metropol in eigener Redaktion und ohne Vorlage bei der Zensurbehörde veröffentlichen wollen – nicht geheim oder im Ausland, sondern als eine Publikation der Moskauer Intelligenz, die sich damit ausdrücklich nicht verstecken wollte. Nun diente der Empfang des deutschen Fernsehens offensichtlich als Vorwand, die Gründungsparty zu verhindern. Tatsächlich aber stand schon fest, dass Metropol verboten werden würde. Das fand ich ärgerlich, und so luden wir die Herausgeber und wichtigsten Autoren der Zeitschrift zu unserer Veranstaltung ein. Die optimale Gästemischung war das natürlich nicht. Die Schriftsteller schienen in der einen Ecke eine Art Konferenz abzuhalten, während die offiziellen Gäste die kleine Gruppe umkreisten und neugierig beäugten. Auch wenn sie das Zeitschriftenprojekt selbst ablehnten – was nicht bei allen der Fall war –, so befanden sich unter den Autoren doch einige Berühmtheiten, und manche Funktionäre wollten wenigstens bei ihren Frauen zu Hause mit den Namen der Dichter ein wenig angeben.
    Der Schriftstellerverband, der auch als Zensurbehörde fungierte, warnte, er werde alle Herausgeber und Autoren ausschließen, die sich an einer öffentlichen Diskussion über die Zeitschrift Metropol beteiligten. Außerdem werde die Mitgliedschaft der beiden jüngsten Redaktionsmitglieder, Viktor Jerofejew und Jewgeni Popow, aufgehoben, da sie erst im laufenden Jahr aufgenommen worden seien und sich also noch in der Probezeit befänden. Das war eine deutliche Warnung an die anderen, die als Verbandsmitglieder eine Reihe von Privilegien genossen: Wohnungen, Sanatoriumsaufenthalte am Schwarzen Meer, manchmal sogar Auslandsreisen. Eigentlich hatten die Schriftsteller aus dem Metropol -Kreis verabredet, gemeinsam aus dem Verband auszutreten, sobald einzelne ausgeschlossen würden. Doch fast keiner von ihnen machte die Drohung wahr. Konsequent waren nur drei Autoren: der populäre Erzähler Wassili Axjonow, der dann die Chance nutzte, nach Amerika auszuwandern, und auch die beiden ältesten Mitglieder, der Dichter und Übersetzer Semjon Lipkin, der einst ein enger Freund Maxim Gorkis gewesen war, und seine Frau, die Lyrikerin Inna Lisnjanskaja.
    Für Lipkin und Lisnjanskaja hatte dieser Schritt weitreichende Folgen. Der Schriftstellerverband ließ unverzüglich Lipkins Bücher aus allen Buchhandlungen und Bibliotheken entfernen und einstampfen. Zu seinen Werken gehörten berühmte

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