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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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allerlanggliedrigsten Tiere und Menschen über die weitflächigstenPlasmaschirme der Welt und es gibt Bars und Drinks und nix zu Essen an jeder Ecke – egal. So etwas von: egal.
    Lou Reed singt:
    Ah, when the heroin is in my blood
And that blood is in my head
Then thank God that I’m as good as dead
Then thank your God that I’m not aware
    Mir ist das alles hier derart scheißegal!
    Kai konnte nicht kommen. Lag mit einer Überdosis Codein im Mount Sinai Hospital. Dazu fiel mir keine Antwort ein.
    In New York, am Abschlussabend der Fashion Week, im voll besetzten und wohlig abgedunkelten Zelt, gebe ich mich dem Hochgefühl einfach nur hin. Gerade so, als ginge dieser Rausch niemals wieder vorbei, als sei sie ganz nah bei mir und wir hielten uns in den Armen oder ihre Hand läge in meiner und zusammen könnten wir hier diese Aussicht genießen; die Aussicht auf die Heilige Familie des Modejournalismus vis-à-vis: Anna Wintour ganz in kamelfarbene Stoffe gehüllt. André Leon Talley thront neben ihr, seine Massigkeit erscheint in purpurnem Pannesamt eingehüllt und mit einer ausladenden Sonnenbrille garniert. Daneben, geradezu nackt bis auf das irritierend rötliche Bürstchen seines Schnurrbarts: der Heilige Geist in seiner aktuellen Verkörperung durch Hamish Bowles. In gebührendem Abstand zur amerikanischen Familie, ganz im Geiste des verderbten Europas in schwarzem Leder und Pelzen und Stacheln aus Chromstahl demonstriert Carine Roitfeld für ihre sadosatanistische Paris Vogue, in der Modewelt regiert sie das Reich des Bösen (noch, wie hinzuzufügen ist, denn im Januardes nächsten Jahres würde sie von diesem Posten zurücktreten, um sich verstärkt privaten Projekten zu widmen, wie es hieß). Und weil es die letzte Fashion Week in diesem Zelt im Bryant Park sein wird – vom September an würden wir uns alle zweimal jährlich im Lincoln Center wiedersehen –, lässt der DJ die am Ende des Laufstegs zur Pyramide aufgeschichteten Fotografen den Refrain von Space is the Place mitsingen. Kurz bevor das Licht verlöscht, ich sehe es genau, bewegt Anna Wintour, zweimal sogar, den Kopf.
    Mit dem Erscheinen der ersten Modelle beginnt zugleich das Ritual, dass so etwa jeder aus den ersten vier Reihen sich sein iPhone oder Blackberry vors Gesichtsfeld hält, um zu fotografieren. Die wenigsten dieser Aufnahmen werden auf Blogs und Branchendiensten veröffentlicht – die wiederum werden von den Bloggern versorgt, die zur Rechten der Heiligen Familie an ihren aufgeklappten Schoßrechnern zu erkennen sind. Gleich neben dem Heiligen Geist beispielsweise: die sogenannte Tavi, von der hauptsächlich zu erzählen war, dass sie erst dreizehn Jahre alt ist und ihren Modeblog sozusagen vor Sahra-Kay-tapezierten Wänden betreibt. Damals wusste keiner von uns, dass dieses Bloggerkind im Spätherbst und somit kurz nach ihrem vierzehnten Geburtstag während ihres Aufenthaltes anlässlich der Nordkoreanischen Fashion Week entführt werden sollte. Tavi verschwand spurlos. Vermutlich aufgegessen.
    Mein neues iPhone, das habe ich vorhin beim Kauf in dem Apple-Store neben meinem Hotel beschlossen, wird einzig der Kommunikation mit Julia Speer geweiht. Das alte mit dem kaputten Display habe ich wie einen gefundenen Kinderhandschuh auf die Schaufensterkante der Alexander-McQueen-Boutique gelegt.

    Kaum einem hier geht es um Herrn Hilfigers Mode, auch nicht Anna Wintour, Carine Roitfeld oder mir, die wir ja nicht selbst fotografieren, sondern: lassen, aber dennoch ist es uns bewusst, dass Tommy Hilfiger einen der größten Werbeetats zu vergeben hat, und um den in Form vieler bezahlter Doppelseiten in unsere sogenannten Blätter und Hefte zu leiten, allein deshalb sind wir heute Abend hier. Und allein deshalb applaudieren wir auch und stehen sogar auf, als Herr Hilfiger selbst mit einem Mikrofon in der Hand auf den Laufsteg tritt und sich für die vielen tollen Jahre hier im Zelt des Bryant Park bedankt und seine und unsere Vorfreude anspricht, nein: verkündet auf den September, unser aller Wiedersehen, drüben im Lincoln Center. Und er weiß, warum wir kommen werden. Und wir wissen, dass er weiß. Und er weiß, dass wir wissen, dass er weiß.
    Aber goldenes Glitzerkonfetti sirmelt von der Decke, der DJ trägt nun einen mit goldenen Spiegelstücken beklebten Zylinder, und während sich bereits alle um die beiden Ausgänge drängeln, sich in diesem ziemlich uneleganten Gedrängel um den schnellsten Abgang alles vermischt – first row

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