Untitled
'Ntuniè?«
»Die, über die du dann eine Novelle schreibst.«
»Aber wo denkst du hin? Das ist doch alles nur Phantasie. Die gibt es doch gar nicht!«
»Doch, doch, die gibt es, die gibt es.«
»Aber wo denn, heiliger Herrgott?!«
»In deiner Phantasie, das hast du gerade selbst gesagt.«
Jetzt spürt er, daß Antonietta wach ist, sie ist zu Bewußtsein gekommen wie eine Ertrunkene aus der Tiefe eines bleiernen Schlafes, in den sie von Zeit zu Zeit für kurze Augenblicke versinkt, sie atmet schwer. Ihre Augen starren ihn an, sie spricht nicht, sie beschränkt sich darauf, ihn anzusehen, und Luigi hat das Gefühl, als würden ihn hinter seinem Kehlkopf zwei Bohrerspitzen durchbohren. Unter diesen Bedingungen kann er nicht weiterschreiben, zu wissen, daß sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrt, lähmt ihn. Er steht auf, er reckt und streckt sich, denn die Haltung hat ihn starr werden lassen, er nimmt die Lampe, stellt sie wieder auf den Nachttisch, dann geht er hinaus, ständig unter dem insistierenden Blick Antoniettas.
»Wo gehst du hin?«
»Wohin soll ich schon gehen? Ins Bad, ich ziehe mich aus.«
»Danach kommst du? Oder machst du's wie beim letzten Mal, wo du dich zum Fenster runtergelassen hast und mit den Weibsstücken auf und davon bist?«
Er antwortet ihr gar nicht. Also wirklich! Sich nächtens zum Fenster hinunterlassen! Was wird sie ihm wohl beim nächsten Mal vorwerfen, diese Frau, deren Gehirn sich zermartert, um sich Geschichten von einem unmöglichen Ehebetrug zu erfinden, die ihm als wahr vorgeworfen werden?
Im Bad nimmt er sich Zeit, er zieht sich langsam aus, er wäscht sich und vermeidet es sorgsam, sein Gesicht im Spiegel zu betrachten.
»Was machst du? Bist du immer noch da?«
»Ich komme schon.«
Er hatte kaum Zeit, die Decke über sich zu legen. Sie packte ihn, preßte sich mit Gewalt an ihn, verzweifelt, und küßte ihn und biß ihn und raufte ihm die Haare, dann fing sie an zu weinen, und unter Schluchzen und mit völlig veränderter Stimme wollte sie wissen, wie er eine andere, eine nicht existierende andere geliebt hatte, dabei blies sie ihm ihren dichten Atem einer Kranken ins Gesicht:
So, nicht? Sie drückte dich so… die Arme, so? Die Hüfte… wie drückte sie die… so? so? und deinen Mund? Wie hat sie den geküßt? So?
Er ließ sich gehen, er ließ sich in diesen Strudel ziehen, mit Abscheu. Aber er konnte nicht anders als sich da hineinziehen zu lassen. Als sie ihren »Liebesbeweis« erhalten hatte, kam Antonietta nicht zur Ruhe. Am liebsten hätte sie ihn aus dem Haus geschickt, so, ohne jede Manneskraft, um sicher zu sein, daß ein physischer Betrug völlig unmöglich war. So, wie sie ihren Mann ja auch gezwungen hatte, mit dem abgezählten Straßenbahngeld in der Tasche herumzulaufen, damit er, für den Fall, daß ihm die Lust auf eine Frau gekommen wäre, nicht gewußt hätte, wie er das bezahlen sollte.
Dann versank sie wieder in schlickigen Schlaf. Luigi wälzte sich noch lange im Bett hin und her, aber leise, um Antonietta nicht aufzuwecken, bevor auch er endlich die Augen schließen konnte.
DER WAHNSINN MEINER FRAU BIN ICH
Es kommt einem zwar unmöglich vor, doch in den folgenden Jahren verschlimmert sich Antoniettas Wahnsinn. Zeugnis dafür ist unter anderem ein langer Brief an Ugo Ojetti, datiert am 10. April 1914, der von der Ablehnung der ›Lettura‹, einer Beilage des ›Corriere della Sera‹, ausgeht, den Roman Si gira in Fortsetzungen abzudrucken (der dann den endgültigen Titel Hefte des Arbeiters Serafìno Gubbio erhält). Die Ablehnung wird ihm nicht von Renato Simoni mitgeteilt, dem Herausgeber der ›Lettura‹, sondern von Albertini selbst, dem Herausgeber des ›Corriere‹, der sich lang und breit in Rechtfertigungen und Begründungen ergeht, die hier nicht interessieren. Für Luigi ist das ein schwerer Schlag, er hat sehr mit dem gerechnet, was die Veröffentlichung ihm einbringen würde.
Mein lieber Ugo, ich weiß nicht, was ich sagen soll! Der lange Brief Albertinis, der gewiß überaus höflich und voll Anerkennung ist, das ist schon richtig - aber dennoch war er für mich in diesem Augenblick so etwas wie der Gnadenschuß!
Ich werde Dir sagen warum… aber vielleicht ist es Dir schon seit einer Weile zu Ohrengekommen, die Nachricht von meinen unverdientermaßen verzweifelten Familien verhältnissen. Ist's nicht so? Meine Frau, lieber Ugo, ist seit fünf Jahren wahnsinnig. Und der
Weitere Kostenlose Bücher