Untitled
nicht so, wie man angenommen hatte. Jeder wußte, wie es sonst mit Carrie lief. Tommy kicherte wieder. »Möchtest du tanzen?« fragte er.
Sie konnte gar nicht tanzen, aber das wollte sie jetzt noch nicht zugeben. »Setzen wir uns einen Augenblick.«
Während er ihr den Stuhl zurechtrückte, sah sie die Kerze und bat Tommy, sie anzuzünden. Ihre Augen trafen einander über die Flamme hinweg. Er nahm ihre Hand. Und die Kapelle spielte.
Aus: Als der Schatten explodierte (S. 133-134):
»Vielleicht wird man eines Tages eine umfassende Studie über Carries Mutter schreiben, wenn Carries Fall stärkeres akademisches Interesse erlangt.
Ich werde das vielleicht selbst tun, wenn auch nur, um Zugang zu diesem Zweig der Brigham-Familie zu bekommen. Es könnte ungeheuer interessant sein, zu erfahren, welch seltsamen Phänomenen man zwei oder drei Generationen zurück begegnen würde...
Und da gibt es noch die Information, daß Carrie in der Ballnacht nach Hause ging. Warum? Es ist schwer zu sagen, wie normal Carries Beweggründe zu jener Zeit waren. Vielleicht ging sie, um Absolution und Vergebung zu erhalten, oder sie hatte sich mit dem ganz bestimmten Vorsatz des Muttermordes auf den Weg gemacht. Auf jeden Fall schien Margaret White sie erwartet zu haben...«
Das Haus war vollkommen still.
Sie war fort.
Nachts.
Fort.
Margaret White ging langsam von ihrem Schlafzimmer ins Wohnzimmer. Zuerst war die Flut des Blutes gekommen und dann die schmutzigen Gedanken, die der Teufel schickte. Dann diese höllische Kraft, die der Teufel ihr verliehen hatte. Diese Kraft kam mit dem Blut und den Haaren auf dem Körper. Oh, sie kannte die Macht des Teufels. Ihre eigene Großmutter besaß sie. Sie hatte das Holz im Kamin angezündet, ohne sich aus ihrem Schaukelstuhl zu erheben. Ihre Augen glühten in (du darfst es nicht dulden daß eine Hexe lebt) einer Art teuflischem Feuer. Und manchmal wirbelte beim Abendessen die Zuckerdose herum wie ein verrückter Derwisch. Wann immer das geschah, lachte Großmama wie irr und machte das Zeichen des Teufelsauges rund um sich herum. Manchmal hechelte sie wie ein Hund an einem heißen Tag, und als sie im Alter von Sechsundsechzig an einem Herzanfall starb, senil bis an die Grenze der Idiotie schon in diesem nicht sehr hohen Alter, war Carrie noch nicht einmal ein Jahr alt. Margaret war eines Tages, nicht einmal vier Wochen nach Großmamas Beerdigung, in Carries Schlafzimmer gekommen, und da lag ihr Baby lachend und gurgelnd in seinem Körbchen und beobachtete eine Flasche, die über seinem Kopf schwebte.
Margaret hätte sie damals beinahe umgebracht. Ralph hatte sie daran gehindert.
Sie hätte sich nicht hindern lassen sollen.
Jetzt stand Margaret White in der Mitte des Wohnzimmers. Christus am Kalvarienberg sah mit seinen verletzten, leidenden, vorwurfsvollen Augen auf sie herab. Die Schwarzwälder Kuckucksuhr tickte. Es war zehn Minuten nach acht.
Sie konnte spüren, tatsächlich spüren, wie die Kraft des Teufels in Carrie arbeitete. Sie kroch über den ganzen Körper und zog und zupfte mit teuflischen kleinen Fingern. Sie, Margaret, hatte ihre Pflicht erfüllt, als Carrie drei Jahre alt war und sie sie dabei erwischt hatte, wie sie in Sünde diese Teufelshure im Garten nebenan betrachtet hatte. Dann waren die Steine gekommen, und sie war schwach geworden. Und die Kraft hatte sich wieder erhoben, nach dreizehn Jahren. Gott ließ seiner nicht spotten.
Erst das Blut, dann die Macht,
(du schreibst deinen Namen du schreibst ihn mit Blut)
jetzt ein Junge und Tanzen, und er würde sie nachher in eine
Absteige bringen, auf den Parkplatz, auf den Rücksitz, dann...
Blut, frisches Blut. Blut war immer der Ursprung, und nur Blut konnte sühnen.
Sie war eine große Frau mit kräftigen Armen, die über den Ellbogen Grübchen hatten. Aber ihr Kopf auf dem starken, muskulösen Hals war überraschend klein. Einst war es ein schönes Gesicht gewesen. Auch jetzt war es noch auf merkwürdige, beängstigende Art schön. Aber die Augen blickten gehetzt, irr, unstet, und die Linien um ihren mürrischen Mund waren tiefer geworden. Ihr Haar, vor einem Jahr noch fast schwarz, war jetzt beinahe weiß.
Die einzige Möglichkeit, die Sünde zu töten, die wirklich schwarze Sünde, bestand darin, sie im Blut eines
(sie muß geopfert werden)
reuevollen Herzens zu ertränken. Gewiß wollte Gott das, und er hatte seinen Finger auf sie
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