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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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Gemüt ist auf Häuslichkeit eingestellt, und sie haben ihr Haus immer bei der Hand – das Schiff; und somit auch ihre Heimat – die See. Ein Schiff gleicht so ziemlich dem anderen, und das Meer ist immer dasselbe. In der Unveränderlichkeit ihrer Umgebung gleiten die fremden Gestade, die fremden Gesichter, die wechselnde Unermeßlichkeit des Lebens an ihnen vorüber – verschleiert nicht so sehr durch ein Gefühl des Rätselhaften als vielmehr durch eine leicht verächtliche Unwissenheit; denn für einen Seemann gibt es nichts Rätselhaftes, es sei denn die See als solche, welche die Herrin seines Lebens und ebenso unergründlich wie die Vorsehung ist. Ansonsten genügt nach den Stunden der Arbeit ein gelegentlicher Bummel an Land oder eine gelegentliche Zechtour, um ihm das Geheimnis eines ganzen Kontinentes aufzuschlüsseln, und meistens findet er das Geheimnis nicht einmal wissenswert. Das Garn der Seeleute ist von einer rückhaltlosen Einfältigkeit, deren ganzer Sinn in einer aufgeknackten Nußschale liegt. Aber Marlow war nicht typisch (wenn man von seiner Neigung, ein Garn zu spinnen, absieht), und für ihn lag der Sinn einer Begebenheit nicht in dieser eingeschlossen wie der Nußkern, sondern draußen, rings um die Geschichte, die ihn lediglich sichtbar machte, so wie eine Feuersglut einen Dunst sichtbar macht – ähnlich einem jener Schleierhöfe, die mitunter im gespenstischen Licht des Mondscheins sichtbar werden.
      Seine Bemerkung schien keineswegs überraschend. Sie sah Marlow ähnlich. Sie wurde schweigend aufgenommen. Niemand machte sich die Mühe, auch nur zu brummen; und dann sagte er sehr langsam:
      »Ich dachte an die frühen Zeiten, als die Römer erstmals hierher kamen, vor neunzehnhundert Jahren – gestern also … Helle ist seitdem von diesem Fluß ausgegangen – Helden, sagen Sie? Auch gut; aber es ist doch wie die rasende Flamme auf einer Ebene, wie ein Blitzstrahl in den Wolken. Wir leben in dem aufflackernden Schein – möge er so lange anhalten, wie die alte Erde sich dreht!
    Doch hier herrschte gestern noch Finsternis.
      Stellt euch vor, wie dem Befehlshaber solch einer stattlichen – wie heißen sie gleich? – Triere im Mittelmeer zumute gewesen sein muß, der plötzlich nach Norden versetzt wird; eilig bringt man ihn über Land durch Gallien, und dann erhält er den Befehl über eines dieser Schiffe, welche die Legionäre – schon wunderbar anstellige Leute – anscheinend zu Hunderten in kaum ein, zwei Monaten zu bauen pflegten, wenn dem zu glauben ist, was in den Büchern steht. Stellt ihn euch vor, wie er mit Vorräten oder mit Befehlen oder was sonst diesen Fluß hinauffährt: das Ende der Welt, eine bleifarbene See, ein rauchfarbener Himmel, ein Schiff, das so unbeweglich ist wie eine Ziehharmonika. Sandbänke, Marschen, Wälder, Wilde – herzlich wenig von dem zu essen, was einem zivilisierten Gaumen angemessen ist, nichts zu trinken als Themsewasser.
      Kein Falernerwein, kein Landurlaub. Hier und dort ein befestigtes Soldatenlager verloren im Dickicht, wie eine Stecknadel in einem Bündel Heu – Kälte, Nebel, Stürme, Seuchen, Exil und Tod – Tod, der in der Luft lauert, im Wasser, im Gebüsch. Wie die Fliegen müssen sie hier weggestorben sein. Oh, ja – er stand seinen Mann. Machte seine Sache zweifellos sehr gut und ohne viel darüber nachzudenken, außer vielleicht später einmal, wenn er sich mit dem brüstete, was er zu seiner Zeit alles vollbracht. Sie waren Manns genug, der Finsternis ins Auge zu blicken. Und vielleicht, daß er aufgemuntert wurde durch die Aussicht auf eine gelegentliche Versetzung zur Flotte nach Ravenna, mit der er rechnen konnte, sofern er in Rom gute Freunde hatte und das fürchterliche Klima überstand. Oder denkt euch einen rechtschaffenen jungen Bürgersmann in seiner Toga – wer weiß, vielleicht hat er zuviel Würfel gespielt –, der im Gefolge eines Präfekten oder Steuereinnehmers oder gar Händlers hier herauskommt, um seine Finanzen aufzubessern.
      Er landet in einem Sumpf, marschiert durch die Wälder und hat in irgendeiner Niederlassung im Innern das Gefühl, er sei von der Barbarei, der reinsten Barbarei umgeben – dem ganzen geheimnisvollen Leben der Wildnis, das sich da regt im Wald, im Dickicht, im Herzen der Wilden. Auch gibt es ja in solche Geheimnisse keine Einweihung. Er muß inmitten des Unverständlichen leben, das obendrein widerwärtig ist. Das hat zwar auch sein Faszinierendes, dessen Wirkung

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