Untitled
Zoll, und er gebot über viele, viele Millionen. Er reichte mir, wenn ich mich recht erinnere, die Hand, murmelte undeutlich irgend etwas, war mit meinem Französisch zufrieden. Bo n voyage.
Nach ungefähr fünfundvierzig Sekunden befand ich mich wieder im Warteraum bei dem mitleidigen Sekretär, der mich voller Trauer und Sympathie einige Dokumente unterzeichnen ließ. Ich glaube, ich verpflichtete mich unter anderem, keine Handelsgeheimnisse zu verraten. Nun, das werde ich auch nicht tun.
Ich begann, mich ein wenig unbehaglich zu fühlen. Wißt ihr, ich bin an solchen Zauber nicht gewöhnt, und etwas Unheilvolles lag in der Luft. Es war, als hätte man mich in eine Verschwörung hineingezogen – ich weiß nicht –, in etwas, bei dem es nicht mit rechten Dingen zuging; und ich war froh, wieder hinauszukommen. Im anderen Zimmer strickten die beiden Frauen fieberhaft ihre schwarze Wolle. Andere Leute kamen, und die Jüngere schritt ab und zu, um sie anzumelden. Die Ältere saß auf ihrem Stuhl. Ihre flachen Stoffpantoffel hatte sie auf einen Fußschemel gestellt, und eine Katze lag auf ihrem Schoß. Sie trug irgend etwas gestärktes Weißes auf dem Kopf, hatte eine Warze auf der Wange, und auf der Nasenspitze saß ihr eine silberne Brille. Sie sah mich über die Brille hinweg an.
Die flüchtige und gleichmütige Seelenruhe jenes Blickes beunruhigte mich. Zwei Jünglinge mit närrischen, munteren Gesichtern wurden gerade durch das Zimmer geleitet, und ihnen sandte sie den gleichen raschen Blick unbeteiligter Weisheit nach. Sie schien alles über sie zu wissen und auch über mich.
Ein Schwindelgefühl erfaßte mich. Das Weib wirkte unheimlich und schicksalhaft. Fern dort draußen dachte ich oft an diese beiden, die das Tor zur Finsternis hüteten und schwarze Wolle wie für ein warmes Leichentuch strickten, wobei die eine unablässig ins Unbekannte hineingeleitete und die andere mit unbeteiligten Greisenaugen die fröhlichen und tölpelhaften Gesichter durchforschte. Ave ! Du alte Schwarzwollstrickerin.
Morituri te salutant. Nicht viele derjenigen, denen sie ins Gesicht schaute, hat sie wiedergesehen – bei weitem nicht die Hälfte.
Noch ein Besuch beim Arzt war zu erledigen. ›Eine reine Formalität‹, versicherte mir der Sekretär, mit einer Miene, als nehme er großen Anteil an allen meinen Kümmernissen. Demgemäß kam aus einem der oberen Stockwerke ein junger Bursche, die Mütze schräg nach links ins Gesicht gedrückt, ein Bürodiener vermutlich – es wird zweifellos Bürodiener in dem Unternehmen gegeben haben, obwohl es still dort war wie in einer Totenstadt – und nahm mich mit. Er war schäbig und nachlässig gekleidet, hatte Tintenflecken an den Rockärmeln, und seine große Krawatte bauschte sich unter seinem Kinn, das wie die Spitze eines alten Stiefels geformt war. Für den Arzt war es noch ein wenig zu früh, und so lud ich meinen Begleiter zu einem Glase ein, woraufhin er einen lustigeren Ton anschlug. Während wir bei unserem Vermouth saßen, pries er die Unternehmungen der Gesellschaft in den höchsten Tönen.
Später gab ich beiläufig meiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß er nicht selbst dort hinausgehe. Er wurde plötzlich sehr kühl und gesammelt, ›Ich bin nicht so närrisch, wie ich aussehe, sprach Plato zu seinen Schülern‹, antwortete er sententiös, leerte mit großer Entschiedenheit sein Glas, und wir standen auf.
Der alte Arzt fühlte mir den Puls und war mit seinen Gedanken offenkundig nicht bei der Sache. ›Gut, gut für dort unten‹, murmelte er, und dann fragte er mich geflissentlich, ob ich ihm gestatte, meinen Kopf zu vermessen. Recht erstaunt willigte ich ein, woraufhin er so etwas wie einen Tastzirkel hervorholte, die Ausdehnung vorne und hinten und in jeder Richtung maß und dabei sorgfältig Notizen machte. Er war ein unrasierter kleiner Mann in einem fadenscheinigen Kittel. Seine Füße staken in Pantoffeln, und ich hielt ihn für einen harmlosen Schwachkopf, ›Im Interesse der Wissenschaft bitte ich stets um die Erlaubnis, die Crania derjenigen abmessen zu dürfen, welche dort hinausgehen‹, sagte er. ›Und wenn sie zurückkommen auch?‹ fragte ich. ›Oh, ich sehe sie nie wieder‹, antwortete er; ›und zudem finden die Veränderungen innen statt, wissen Sie.‹ Er lächelte wie bei einem stillen Scherz. ›Sie gehen also dort hinaus. Großartig. Und auch höchst interessant.‹ Er sandte mir einen prüfenden Blick
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