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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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Gleichgewicht verloren.
      Der dünne Rauch hatte sich verzogen, wir hatten den treibenden Baumstamm hinter uns, und als ich nach vorn blickte, stellte ich fest, daß es uns nach ungefähr hundert Metern möglich sein würde, von diesem Ufer abzudrehen; doch meine Füße fühlten sich so überaus warm und feucht an, daß ich hinabblicken mußte. Der Mann war auf den Rücken gerollt und starrte mir von unten ins Gesicht. Seine beiden Hände umklammerten jenes Bambusrohr. Es war der Schaft eines Speers, der ihn – er war entweder durch die Öffnung gestoßen oder hereingeworfen worden – seitlich unterhalb der Rippen getroffen hatte; die Spitze war verschwunden, nachdem sie eine gräßliche Wunde gerissen hatte; meine Schuhe waren vollgelaufen; eine Blutlache stand sehr still und dunkelrot leuchtend unter dem Rad; seine Augen hatten einen erstaunlichen Glanz.
      Abermals brach Gewehrfeuer aus. Er blickte mich ängstlich an und packte den Speer wie etwas Kostbares und mit einer Miene, als fürchte er, ich könnte versuchen, ihn ihm zu entwenden. Nur mit Mühe vermochte ich meine Augen von seinem Blick loszureißen und zu steuern. Mit der einen Hand tastete ich über meinem Kopf nach der Leine der Dampfpfeife und brachte durch wiederholtes, ruckweises Zerren daran Heulton um Heulton hervor. Das Getümmel zorniger und kriegerischer Schreie hörte sogleich auf, und dann erscholl aus den Tiefen des Waldes solch ein bebender und gedehnter Klagelaut trauriger Furcht und völliger Verzweiflung, wie er sich vorstellen ließe beim Dahinschwinden auch der letzten Hoffnung von dieser Erde. Im Busch entstand eine heftige Bewegung; der Pfeilregen hörte auf, vereinzelte Schüsse peitschten über das Ufer – dann Schweigen, in welchem der träge Schlag des Heckrades deutlich an mein Ohr drang. Ich legte das Ruder hart Steuerbord, als der Pilger im rosaroten Pyjama sehr erhitzt und aufgeregt in der Tür erschien. ›Der Direktor schickt mich …‹, begann er in offiziellem Ton und hielt dann inne. ›Gütiger Gott!‹ sagte er und starrte auf den Verwundeten.
      Wir beiden Weißen standen über ihn gebeugt, und sein leuchtender und fragender Blick umfing uns beide. Wahrhaftig, es sah so aus, als werde er sogleich in einer verständlichen Sprache eine Frage an uns richten; doch er starb, ohne einen Laut von sich zu geben, ohne ein Glied zu rühren, ohne daß auch nur ein Muskel gezuckt hätte. Erst im allerletzten Augenblick, wie als Antwort auf ein Zeichen, das wir nicht sehen, auf ein Flüstern, das wir nicht hören konnten, runzelte er gewaltig die Stirn; und dieses Stirnrunzeln verlieh seiner schwarzen Totenmaske einen unbegreiflich düsteren, brütenden und drohenden Ausdruck. Der Glanz des fragenden Blickes verblaßte rasch in leere Glasigkeit. ›Können Sie steuern?‹ fragte ich hastig den Agenten. Er sah mich zweifelnd an; doch ich packte ihn am Arm, und er verstand sogleich, daß ich ihn am Ruder haben wollte, ob er damit umzugehen wußte oder nicht.
      Um euch die Wahrheit zu sagen, war ich geradezu krankhaft von dem Wunsch besessen, meine Schuhe und Strümpfe zu wechseln. ›Er ist tot‹, murmelte der Busche sehr beeindruckt.
      ›Darüber kann kein Zweifel bestehen‹, sagte ich und zerrte wie toll an den Schuhriemen. ›Und im übrigen ist anzunehmen, daß Herr Kurtz unterdessen ebenfalls tot ist!‹ Im Augenblick war dies der beherrschende Gedanke. Ein Gefühl äußerster Enttäuschung hatte von mir Besitz ergriffen, gleichsam als sei mir zu Bewußtsein gekommen, daß ich nach etwas gestrebt hatte, das gänzlich gegenstandslos war. Ich hätte nicht empörter sein können, wenn ich diesen weiten Weg allein in der Absicht zurückgelegt hätte, mit Herrn Kurtz zu sprechen. Zu sprechen mit … Ich warf einen Schuh über Bord und erkannte, daß es genau dies war, worauf ich es abgesehen hatte – ein Gespräch mit Kurtz. Ich machte die seltsame Entdeckung, daß ich ihn mir nie bei einer Tätigkeit vorgestellt hatte, wißt ihr, sondern immer nur im Gespräch. Ich sagte mir nicht: ›Jetzt wirst du ihn nie sehen‹, oder: ›Jetzt werde ich ihm nie die Hand schütteln‹, sondern: ›Jetzt werde ich ihn nie hören.‹ Der Mann stellte sich mir als eine Stimme dar. Freilich war es nicht so, daß ich ihn nicht in Zusammenhang mit einer Handlung gebracht hätte. War mir nicht in allen Tönen des Neides und der Bewunderung mitgeteilt worden, er habe mehr Elfenbein zusammengetragen, eingetauscht, erschwindelt oder

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