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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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sehr milde; er fürchtete jetzt nicht mehr um sein Leben, er betrachtete uns beide mit einem verständnisinnigen und befriedigten Blick die ›Geschichte‹ war denkbar günstig abgelaufen. Ich sah die Zeit näherrücken, da ich als einziger aus der Gefolgschaft der ›ungesunden Methoden‹ übrigbleiben würde. Die Pilger betrachteten mich mit Mißgunst. Ich wurde sozusagen unter die Toten gerechnet. Merkwürdig, wie gelassen ich diese unerwartete Partnerschaft hinnahm, nach jener Wahl zwischen Traumgespenstern, die mir dort in dem finsteren, von niederträchtigen und gierigen Phantomen heimgesuchten Land aufgezwungen worden war.
      Kurtz sprach. Eine Stimme! Eine Stimme! Bis zuletzt tönte sie tief. Sie überdauerte seine Stärke, um in den üppigen Falten seiner Beredsamkeit die wüste Finsternis seines Herzens zu verbergen. Oh, er rang! Er rang! Die Einöde seines müden Hirns wurde jetzt von schattenhaften Bildern heimgesucht – Bildern des Reichtums und Ruhms, die sich willfährig um seine unerschöpfliche Gabe edlen und erhabenen Ausdrucks woben.
      Meine Zukünftige, meine Station, meine Laufbahn, meine Ideen – dies waren die Gegenstände seiner gelegentlichen Äußerungen hochgemuten Gefühls. Der Schatten des ursprünglichen Kurtz trat häufig an das Bett des hohlen Scharlatans, dessen Schicksal es war, alsbald in einem Haufen jungfräulicher Erde begraben zu werden. Doch die teuflische Liebe zu den Geheimnissen, die er durchdrungen, und der unirdische Haß auf sie kämpften miteinander um den Besitz dieser Seele, die von primitiven Gefühlen gesättigt und begierig nach dem lügenhaften Ruhm, nach eitler Auszeichnung, nach allen Ausgeburten des Erfolges und der Macht war.
      Manchmal war er nichtswürdig kindisch. Er wünschte sich, daß Könige ihn an den Eisenbahnstationen empfangen würden bei seiner Rückkehr aus dem grausigen Nichts, wo er große Dinge zu vollbringen gedacht hatte. ›Sie müssen denen nur zeigen, daß Sie etwas in sich haben, das wirklich einträglich ist, und Ihren Fähigkeiten wird grenzenlose Hochachtung zuteil‹, sagte er dann. ›Natürlich müssen Sie auf die Motive bedacht sein – die rechten Motive – immer.‹ Die langen, geraden Flußstrecken, die sämtlich wie ein und dieselbe Flußstrecke wirkten, die eintönigen Biegungen, die alle gleich aussahen, glitten am Dampfer vorüber, mit ihren Massen jahrhundertealter Bäume, die diesem rußverschmierten Bruchstück einer anderen Welt, diesem Vorboten des Wandels, der Eroberung, des Handels, der Gemetzel, der Segnungen geduldig nachschauten. Ich blickte voraus – und steuerte. ›Schließen Sie den Fensterladen‹, sagte Kurtz eines Tages plötzlich; ›ich kann den Anblick von all dem nicht mehr ertragen.‹ Ich tat es. Es folgte ein Schweigen. ›Oh, ich werde dir noch Schmerzen zufügen!‹ rief er der unsichtbaren Wildnis zu.
      Wir hatten – wie erwartet – Maschinenschaden und mußten wegen Reparaturarbeiten das Schiff vor dem Ende einer Insel auf legen. Dieser Aufenthalt war das erste, was Kurtzens Selbstvertrauen einen Stoß versetzte. Eines Morgens übergab er mir einen Packen Papiere und eine Photographie – alles mit Schuhbändern verschnürt. ›Verwahren Sie das für mich‹, sagte er.
      ›Diesem schändlichen Narren‹ (er meinte den Direktor) ›ist zuzutrauen, daß er meine Kisten durchstöbert, wenn ich gerade wegsehe.‹ Am Nachmittag schaute ich nach ihm. Er lag auf dem Rücken, die Augen geschlossen, und ich zog mich leise zurück, doch ich hörte ihn murmeln: ›Lebe rechtschaffen, stirb, stirb …‹ Ich horchte. Es kam nichts mehr. Probte er im Schlaf eine Ansprache, oder war es das Bruchstück eines Satzes aus einem Zeitungsartikel? Er hatte für Zeitungen geschrieben und gedacht, dies wieder zu tun ›zur Förderung meiner Ideen. Es ist meine Pflicht.‹
      Er war ein undurchdringliches Dunkel. Ich sah ihn an, wie man auf einen Mann hinabspäht, der in den Tiefen einer Schlucht liegt, in die niemals ein Sonnenstrahl dringt. Doch ich konnte ihm nicht viel Zeit widmen, weil ich dem Maschinisten helfen mußte, die lecken Zylinder auseinanderzunehmen, eine krumme Pleuelstange geradezubiegen und was derlei Dinge mehr waren. Ich lebte in einem höllischen Wust von rostigem Eisen, Feilspänen, Muttern, Bolzen, Schraubenschlüsseln, Hämmern, Drillbohrern – Dingen, die ich verabscheue, weil ich mit ihnen nicht zu Streich komme. Ich versorgte die kleine Feldschmiede, die wir zum Glück

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