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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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Zwanges, der hinter den Gegebenheiten des menschlichen Daseins lauert. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht sagen. Doch ich ging hin.
      Ich dachte, die Erinnerung an ihn sei wie die anderen Erinnerungen an Tote, die sich in eines jeden Menschen Leben häufen – der leichte Abdruck, den ein Schatten bei seinem eiligen und endgültigen Dahingehen auf unserem Hirn hinterläßt; doch vor der hohen und wuchtigen Tür, zwischen den großen Häusern einer Straße, die still und schicklich war wie eine gepflegte Friedhofsallee, kam er mir wieder in den Sinn, wie er damals auf der Bahre lag und seinen Mund gierig aufriß, als wollte er die ganze Welt samt ihrer Menschheit verschlingen. Damals hatte ich ihn lebendig vor mir gesehen; so lebendig, wie er nur je gewesen – ein Schatten, der unersättlich nach äußerem Prunk, nach furchtbarer Wirklichkeit lechzte; ein Schatten, finsterer als der Schatten der Nacht und vornehm in die Falten einer glänzenden Beredsamkeit gehüllt. Die Vision schien mit mir das Haus zu betreten – die Bahre, die gespensterhaften Träger, die wilde Menge gehorsamer Anbeter, die Düsternis der Wälder, das Glitzern des Flusses zwischen den dunklen Biegungen, das Pochen der Trommeln, regelmäßig und gedämpft wie das Pochen eines Herzens – des Herzens einer siegreichen Finsternis. Es war ein Augenblick des Triumphes für die Wildnis, ein rächender Überfall, den ich, wie mir schien, zum Heil einer anderen Seele allein zurückdämmen mußte. Und das, was ich ihn weit dort draußen hatte sagen hören, während die gehörnten Gestalten in meinem Rücken sich zu rühren begannen vor der Feuersglut, in geduldigen Wäldern – jene abgerissenen Sätze fielen mir wieder ein, wurden abermals in ihrer unheilvollen und erschreckenden Schlichtheit vernommen. Ich erinnerte mich seines schändlichen Flehens, seiner schändlichen Drohungen, des gewaltigen Ausmaßes seines elendigen Gelüsts, der Gemeinheit, der Qual, des wilden Zorns seiner Seele.
      Und später schien ich seine gelassene, erschöpfte Miene zu sehen, als er eines Tages sagte: ›Dieser Stapel Elfenbein gehört jetzt eigentlich mir. Die Handelsgesellschaft hat nichts dafür getan. Ich sammelte es unter Einsatz meines Lebens. Doch ich fürchte, sie werden es dennoch als ihr Eigentum beanspruchen.
      Hm. Es ist ein schwieriger Fall. Was soll ich Ihrer Meinung nach tun – Einspruch erheben? Ja? Ich verlange nichts als Gerechtigkeit.‹ … Er verlangte nichts als Gerechtigkeit – nichts als Gerechtigkeit. Ich läutete an einer Mahagonitür auf der ersten Etage, und während ich wartete, schien er mir aus dem gläsern schimmernden Panel entgegenzustarren – mir entgegenzustarren mit jenem weiten und ungeheuren Blick, der das ganze Universum umfaßte, verdammte und verschmähte. Mir war, als hörte ich den geflüsterten Schrei: ›Das Grauen! Das Grauen!‹
      Die Dämmerung brach herein. Ich mußte in einem hohen Salon mit drei langen Fenstern warten, die vom Boden bis zur Zimmerdecke reichten und die wie drei leuchtende, drapierte Säulen wirkten. Die geschwungenen, vergoldeten Beine und Lehnen der Möbel schimmerten in unbestimmten Kurven. Der aufragende Marmorkamin war von einem kalten und grabmalhaften Weiß. In der einen Ecke stand wuchtig ein Flügel; die spiegelnde Oberfläche schimmerte dunkel wie ein düsterer und polierter Sarkophag. Eine hohe Tür öffnete sich – schloß sich wieder. Ich stand auf.
      Sie trat ein – ganz in Schwarz, mit einem blassen Gesicht – und schwebte in der Dämmerung auf mich zu. Sie trug Trauer. Mehr als ein Jahr war verstrichen seit seinem Tod, mehr als ein Jahr, seit die Nachricht eingetroffen war; sie machte den Eindruck, als wolle sie in alle Zukunft seiner gedenken und um ihn trauern. Sie ergriff meine beiden Hände und murmelte: ›Man hat mir ausgerichtet, Sie würden kommen.‹ Ich bemerkte, daß sie nicht eigentlich jung war – ich meine, nicht jungmädchenhaft.
      Sie besaß eine reife Befähigung zur Treue, zum Glauben, zum Leiden. Das Zimmer schien dunkler geworden zu sein, so als hätte das ganze traurige Licht des wolkenverhangenen Abends auf ihrer Stirn Zuflucht genommen. Dieses blonde Haar, dieses blasse Antlitz, diese klaren Brauen schienen umgeben von einem äschernen Schein, aus dem heraus sich ihre dunklen Augen auf mich richteten. Ihr Blick war arglos, abgründig, vertrauensvoll und aufrichtig. Sie trug ihr kummervolles Haupt, als sei sie stolz auf diesen Kummer, als

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