Untitled
nicht mehr ganz so schutzlos vor. Zielstrebig ging er auf die unheimliche Gestalt zu.
„Guten Abend, Herr von Grauenstein! Höchst erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen."
Die priesterliche Stimme klang um einige Nuancen zu laut für die späte Stunde an diesem Ort der Ruhe und des ewigen Friedens.
„Ganz meinerseits", antwortete der Vampir zurückhaltend und streckte dem Ankömmling höflich die Hand entgegen.
Erschreckt humpelte der Geistliche einige Schritte zurück. Als er jedoch in die sich traurig verschleiernden dunklen Augen des Blutsaugers schaute, ergriff er tapfer dessen Hand und war erstaunt über den festen, wenn auch kalten Händedruck seines Gegenübers.
„Unser gemeinsamer Freund hat mir viel von Ihnen erzählt. Auch bin ich bereits über Ihren mitternächtlichen heimlichen Besuch informiert. Schade, daß wir uns erst jetzt kennenlernen."
Der Vampir war um höfliche Konversation bemüht, um die
ersten Verlegenheitsminuten geschickt zu überspielen. „Darf ich die Herren bitten, hier bei mir Platz zu nehmen!"
Einladend wies er auf eine besonders gut gereinigte Stelle des Grabmals hin. Der Priester raffte seine Soutane und kletterte mühsam auf das berühmte Monument, auf dem die beiden anderen schon ihre gewohnten Plätze eingenommen hatten.
Der Gastgeber war sehr auf das Wohl der späten Gäste bedacht. „Was möchten Sie trinken?"
„Mir wie gewöhnlich von Ihrem exzellenten Whisky, lieber Grauenstein." Der Doktor rieb sich genüßlich die Hände. „Hochwürden, Sie sollten sich mir anschließen. So ein gutes Tröpfchen bekommen Sie so schnell nicht wieder. Es ist, verzeihen Sie, als hätte Ihnen ein Englein auf die Zunge gepullert."
Der Geistliche konnte nicht umhin zu schmunzeln und parierte gekonnt:
„Trotz meiner guten Beziehungen von Amts wegen nach dort oben sind mir diese Vergleichsmomente fremd. Ein Grund mehr für mich, diese Köstlichkeit zu probieren."
Der Vampir verschwand in der Gruft, und Hochwürden lehnte sich bequem an die aus weißem Marmor gearbeitete Statue, die das Grabmal an seiner Seite begrenzte. So hatte er einen wunderschönen Blick über den kleinen Friedhof und über das schlafende Dorf, das sich eng an den Hügel zu kuscheln schien.
Wenige Augenblicke später kehrte der Vampir mit wehendem Cape zurück.
Zwei wundervoll geschliffene Kristallgläser mit dazugehöriger Karaffe funkelten im Mondschein. Beides stellte der Gastgeber vor seine nächtlichen Besucher und bat sie, sich reichlich zu bedienen, was den Arzt veranlaßte, dem Pfarrer und sich eine große Portion des in jeder Hinsicht gepriesenen Getränks einzugießen. Genüßlich ließ er den ersten Schluck auf seiner Zunge zergehen.
Hochwürden tat ihm dieses gleich und konnte nicht umhin, den Whisky ausgiebig und in blumenreichen Worten zu loben.
„Ein wahrhaft gutes Engelchen", fügte er selig lächelnd hinzu.
Herr von Grauenstein, der erneut seiner Gruft entstieg, diesmal mit einem silbernen Tablett, auf dem ein kostbares Teeservice prangte, stellte zu seiner Freude fest, daß auch der Geistliche begonnen hatte, sich der ungewohnten Situation anzupassen.
„Ich hoffe, Hochwürden, es ist Ihnen nicht zu kühl!" Der Edle schien sichtlich besorgt.
„Bemühen Sie sich nicht, Herr von Grauenstein! Der Whisky zeigt schon seine Wirkung!"
Der Priester fühlte sich verpflichtet, seinen Gastgeber zu beruhigen. Er hatte sich so hingesetzt, daß die Beine unter der langen Soutane verschwanden und die Füße dadurch gewärmt wurden.
„So makaber, wie es ist", dachte er stillvergnügt, „aber ich beginne mich in der Tat wohlzufühlen."
Dann wandte er sich an den Gastgeber. „Wie wäre es, wenn wir etwas über Ihr Leben erführen, damals vor zweihundert Jahren und Ihre Verwandlung zum ..." Hier wurde der Priester sichtlich verlegen. „... zu, wie soll ich sagen, jenem Wesen wurden, das tot ist und doch noch auf Erden existiert. Ich hoffe von ganzem Herzen, daß Sie mir meine indiskreten Fragen verzeihen, aber bitte, verstehen Sie, daß wir sehr neugierig sind, wenn wir schon einen so prominenten Vampir ... äh ... Verzeihung, ein so prominentes Wesen zu unserer Dorfgemeinschaft rechnen dürfen!"
Dem Geistlichen war seine Neugier fraglos peinlich, und er wollte den Vampir sicherlich nicht beleidigen, sondern ihm nur beweisen, welch großes Interesse er dessen Existenz entgegenbrachte.
„Hochwürden, Sie
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