Untitled
Komplikationen hielt ihn nicht länger in seinem Bett. Zudem war er es leid, ständig von seiner Haushälterin umsorgt zu werden. Sie meinte es zwar herzensgut, dank der ihr eigenen Schläfrigkeit richtete sie jedoch mehr Unheil an, als daß sie von tatsächlichem Nutzen war. Mehrmals war sie, das entweder versalzene oder gar angebrannte Essen auf dem Tablett tragend, gegen einen der massiven Bettpfosten gestoßen, was wiederum den Geistlichen aus seinen Kissen heraus senkrecht in die Höhe katapultierte.
Wie oft er sie auch bat, sich mehr den Kochkünsten zu widmen als ihrem Hobby, der Psychoanalyse, ebenso häufig wurde er von ihr enttäuscht. Sigmund Freud war nun mal ihr Ideal. Sie kannte alle seine Werke, ein Umstand, der dem Priester nicht unbedingt angenehm sein konnte. Trotz allem, bemerkenswert! Aber seitdem sie sich auch noch als sogenannte Laienanalytikerin verstanden wissen wollte, war sie stets auf der Suche nach mehr oder weniger willigen Opfern. Auch bei Hochwürden hatte sie ihr Glück versucht. Ihr kam seine vorübergehende Bettlägerigkeit daher durchaus zupaß, schließlich konnte er ihr nun nicht entwischen. Nur mit barscher Unhöflichkeit gelang es ihm, sich ihren penetranten Versuchen einigermaßen zu widersetzen. Sein Rat – er hatte dies einmal gelesen –, sich selbst einer Analyse zu unterziehen, wurde von ihr jedoch nicht zur Kenntnis genommen.
Um allen diesen für ihn so mißlichen Umständen ein Ende zu bereiten, beschloß er viel zu früh, sein Bett zu verlassen. Alles Gezetere seitens des Arztes half nichts, Hochwürden bestand auf dem Treffen mit dem Vampir.
Auf den eichenen Spazierstock gelehnt und vom sehr besorgten Arzt gestützt, humpelte der Geistliche den Hügel hinauf.
Als sie das Friedhofstor erreicht hatten, ließ der Doktor den Arm des Geistlichen für einen kurzen Moment los, um die Pforte zu öffnen. Seltsam, in diesem Augenblick kam sich der Priester ganz verlassen vor und hätte sonst etwas dafür gegeben, umkehren zu dürfen. Was sollte das Ganze überhaupt? Wollte er seinen obersten Dienstherrn im Himmel auf die Probe stellen? Und was würde der Heilige Vater in Rom dazu sagen? All diese Gedanken schossen ihm in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf. Schnell sandte er ein Stoßgebet gen Himmel:
„Lieber Vater im Himmel! Wenn alles gutgeht, will ich nie wieder über meine Trani klagen, sondern die versalzene Suppe mit Genuß essen, denn schließlich stammen die Zutaten von Dir, o Herr. Was daraus wird, ist eine andere Sache! Und was von Dir ist, ist gut, Herr! Bitte verlaß Deinen fehlgeleiteten Angestellten auf Erden nicht. Vergib mir meine unstillbare Neugierde und die dadurch noch folgenden Sünden. Gelobt sei Dein Name in Ewigkeit, Amen!" Er fühlte sich erleichtert.
„Los, los, Hochwürden! Herr von Grauenstein wartet schon", drängelte der Arzt und schob den Geistlichen durch das Tor.
„Oh, das tut mir leid!" Der Priester schaute unsicher zu der hochaufgerichteten Gestalt neben dem Grauensteinschen Grabmal hinüber. Wieder trug er das schwarze Cape, wieder hatte er eine Nelke im Knopfloch stecken.
Der Vampir machte einige Schritte vorwärts, wie um seinen Gästen entgegenzugehen, blieb dann aber plötzlich stehen, winkte den Arzt zu sich und wies flüsternd auf den Geistlichen. Der Doktor nickte.
„Herr Pfarrer", sagte dieser erklärend, „würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihr Kreuz abzunehmen? Herr von Grauenstein be dauert sehr, Sie darum bitten zu müssen, denn rein verstandesgemäß weiß er sehr wohl das Symbol priesterlicher Würde zu schätzen. Andererseits aber wäre ihm der Kontakt mit Ihnen nicht möglich, da das Kreuz ihn hindern würde, sich Ihnen unbefangen zu nähern."
„Heilige Mutter Gottes", murmelte Hochwürden, „an so etwas habe ich nun wirklich nicht gedacht." Seit seiner Weihe vor nunmehr 45 Jahren trug er tagein, tagaus das priesterliche Symbol. Verständlich, daß er nur widerstrebend der Aufforderung nachkam. Er fühlte sich völlig schutzlos, als er die Kette auf das Grab des Gottseligen seiner Nachbarin legte. Dabei fiel ihm der frische Blumenschmuck auf. Er beugte sich hinunter und roch vorsichtig an den Blüten.
„Aha, der Trick mit dem Knoblauch wirkt." Er war wieder zuversichtlicher geworden und richtete sich auf, seine Hand in der weiten Tasche der Soutane verbergend. Beruhigt stellte er fest, daß der Flachmann mit dem Weihwasser noch vorhanden war. Jetzt kam er sich
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