Untitled
deren Oberfläche die Regentropfen eine Gänsehaut erscheinen ließen. Der Fluß trug sie mit sich, um sie schließlich auf den Schlammbänken unter der Tower Bridge abzulegen. Ein Schlepperkapitän sollte sie entdecken und die Londoner Hafenverwaltung benachrichtigen. Man würde den Leichnam einer Frau bergen. Und niemand sollte in der Lage sein, zu bestimmen, an welcher Stelle sie ins Wasser gelangt war.
18
Denn Liebe und Mord dringen immer ans Licht.
WILLIAM CONGREVE
Hier, nimm mein Bild. Lebwohl, der Aufbruch drängt (Deins hab ich seelentief ins Herz versenkt).
JOHN DONNE
«Harriet, stinke ich?»
Harriet widmete der Angelegenheit ihre volle Aufmerksamkeit. «Ja, Mylord. Eindeutig sogar. Nach Karbolseife.»
«Ach, solange es nichts Schlimmeres ist … Bunter hat mich zwanzig Minuten lang geschrubbt, aber ich habe den Geruch immer noch in der Nase. Oder es ist vielleicht ein psychologisches Phänomen, so etwas wie eine olfaktorische Frontneurose.»
«Ich schließe daraus, daß du nach vermißten Schauspielerinnen Ausschau gehalten hast.»
«Volles Rohr. Oder besser gesagt: Wir haben in die Röhre geguckt. Wir haben nämlich nichts gefunden, und bevor wir unser Ziel erreicht haben, ist das Spiel wegen Regen abgebrochen worden.»
«Jammerschade. Während du weg warst, hat Robert Templeton seine Leiche gefunden, und ich hatte darauf gehofft, daß du mich mit ein, zwei schmackhaften Details versorgst, mit denen ich meiner Beschreibung etwas mehr Würze geben könnte.»
«‹Schmackhaft› ist in diesem Zusammenhang eine unangebracht frohsinnig gewählte Formulierung. Herrje, ich habe eine Frau geheiratet, die sich an Leichenteilen delektiert. Glaubst du, Nekrophagie läßt sich mit derselben Methode austreiben, mit der der Froschkönig im Märchen von seinem Bann befreit wird? Ein Kuß, und die Leichenfresserin verwandelt sich in eine Prinzessin? Auf deine Versicherung hin, daß du von mir nur Wohlgerüche atmest, werde ich das Experiment wagen …»
Peter schloß Harriet in seine Arme und küßte sie. Als sie zurückzuckte, ließ er sie sofort los und fragte: «Harriet, was ist? Stimmt etwas nicht?»
«Oh, Liebster, jetzt schau nicht so erschrocken drein, alles stimmt.»
«Du hast mir Angst gemacht. Habe ich dir weh getan? Das Training mit Mr. Matsu läßt mich manchmal das Gefühl für meine Kraft verlieren.»
«Peter, es ist nichts. Nur der dumme Kragen, er ist dermaßen steif, daß er mich gekratzt hat.»
«Zeig mal her.» Er stellte sich hinter sie und machte vorsichtig ein Häkchen nach dem anderen auf, um den Kragen von ihrem Hals zu lösen. «Ja. Das verdammte Ding hat deinen Hals aufgeschürft», stellte er fest. «Du blutest!»
Harriet ging zum Spiegel, der über dem Kaminsims hing, um sich den Schaden zu besehen. Winzige Blutströpfchen krönten eine kleine Hautabschürfung an ihrem Hals.
«Es ist nichts», wiederholte sie. «Küß mich noch einmal.»
Aber Peter stand stinrunzelnd hinter ihr mitten im Raum und hielt den Kragen in seiner rechten Hand. «Ich – entschuldige mich einen Moment», sagte er und ging zum Telefon. Durch die offene Tür hörte sie, wie er mit Sir James Lubbock zu sprechen wünschte.
«James, es hat sich etwas ergeben …»
Meredith kam herein. «Kann ich jetzt die Vorhänge zuziehen, Mylady?»
«Ja, danke, Meredith.»
«Nein», sprach Peter gerade ins Telefon, «sehr kleine Kratzer auf der Haut. Sie müßten an einer Stelle gehäuft auftreten. Kann es sein, daß die Hämatome sie verdeckt haben? Nein, nein, selbstverständlich haben Sie schon alles gründlich untersucht, aber … Ja, verstehe. Alles klar. Danke.»
Peter legte den Hörer auf und sah Harriet geistesabwesend an. «Rosamund Harwell hat nicht solche Male am Hals gehabt wie du jetzt», sagte er. «Harriet, hast du eine Idee, warum um alles in der Welt jemand einer Frau einen Kragen umlegen sollte, die schon tot ist?»
«Um die Würgemale zuzudecken?»
«Das Gesicht war genauso entstellt wie der Hals», widersprach er, «und das Gesicht war nicht bedeckt.»
«Ich weiß nicht, laß mich mal nachdenken. Vielleicht hat sie jemand angezogen – kann es sein, daß sie nackt war, als sie getötet wurde, und der Mörder hat sie nachher angekleidet?»
«Das wäre schwieriger, als es klingt. Einem völlig unbeweglichen Körper Kleider überzuziehe, muß eine ziemliche Anstrengung sein. Und wozu? Warum sollte der Mörder das tun?»
«Ich weiß nicht, warum. Aber das würde einen solchen groben
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