Untitled
Keller. Dieser Boxunterricht fand schon seit einigen Jahren statt, und eigentlich hatten Damon und Jannie ihn gar nicht mehr nötig. Damon ist ein blitzgescheiter Zehnjähriger, Jannie ist acht, und beide können sich sehr gut verteidigen. Aber sie genossen wie ich das Training und die Tatsache, dass wir unsere Zeit gemeinsam verbrachten.
Doch was an jenem Abend geschah, kam aus heiterem Himmel: ohne Vorankündigung und bis dahin unvorstellbar. Erst nachdem alles vorüber war, begriff ich den Grund.
Jannie und Damon alberten herum und gaben an. Und dann muss Jannie irgendwie in einen Schlag Damons hineingelaufen sein.
Der seitliche Haken traf sie direkt auf die Stirn, dicht über dem linken Auge. Das zumindest weiß ich genau. Der Rest war ein völliges Rätsel. Und ein furchtbarer Schock. Es war, als sähe ich das Leben wie einen Film an mir vorüberziehen.
Jannie neigte sich nach links und brach zusammen, schlug beängstigend hart auf dem Boden auf. Erst waren ihre Bewegungen hektisch, dann wurden die Gliedmaßen stocksteif. Es gab absolut keine Vorwarnung.
»Jannie!«, schrie Damon. Er war verstört, weil er seine Schwester niedergeschlagen hatte, wenngleich ohne Absicht.
Ich kniete an Jannies Seite nieder. Ihr Körper zuckte jetzt
krampfartig und unkontrolliert. Leises Stöhnen drang aus ihrer Kehle. Offensichtlich konnte sie nicht sprechen. Sie verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Dann würgte Jannie grauenvoll. Ich hatte Angst, sie würde ihre Zunge verschlucken. Ich riss meinen Gürtel heraus, faltete ihn zusammen und steckte ihn Jannie in den Mund, um zu verhindern, dass sie sich die Zunge zerbiss oder sie hinunterschluckte und daran erstickte. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich den eng zusammengefalteten Gürtel in ihrem Mund festhielt. »Alles in Ordnung, Jannie. Alles in Ordnung, Schätzchen«, stammelte ich immer wieder.
Ich bemühte mich, so ruhig wie möglich zu sein und Jannie nicht merken zu lassen, wie groß meine Angst war. Die heftigen, krampfartigen Zuckungen wollten einfach nicht aufhören. Ich war ziemlich sicher, dass Jannie einen epileptischen Anfall hatte.
A lles in Ordnung, Schätzchen. Gleich ist alles vorbei.
So vergingen zwei oder drei entsetzliche Minuten. Aber nichts war in Ordnung, nicht einmal annähernd. Alles war so schrecklich, wie es schrecklicher nicht sein konnte, so schrecklich, wie es noch nie gewesen war.
Jannies Lippen hatten sich bläulich verfärbt. Speichel lief aus den Mundwinkeln. Dann verlor sie die Kontrolle über die Blase und pinkelte auf den Boden. Sie konnte immer noch nicht sprechen.
Ich hatte Damon nach oben geschickt; er sollte Hilfe holen. Weniger als zehn Minuten nachdem Jannies Anfall vorüber war, kam ein Rettungswagen. Bis jetzt hatte es keinen neuen Anfall gegeben. Ich betete, dass keiner mehr kommen möge.
Zwei Sanitäter und eine Notärztin kamen in den Keller gerannt, wo ich immer noch neben Jannie kniete. Ich hielt ihre eine Hand, Nana die andere. Wir hatten ihr ein Kissen von der Couch unter den Kopf geschoben und eine Decke über sie gelegt. Das ist Wahnsinn, dachte ich. Das kann doch nicht sein!
»Alles in Ordnung, Süße«, sagte Nana leise.
Jannie schaute sie an. »Nein, stimmt nicht, Nana.«
Jetzt war sie bei vollem Bewusstsein, verängstigt und verwirrt. Außerdem war es ihr peinlich, dass sie sich in die Hose gemacht hatte. Sie wusste, dass etwas Seltsames und Schreckliches mit ihr passiert war.
Die Notärztin war freundlich und versuchte uns zu beruhigen. Sie überprüfte Jannies Temperatur, den Puls und den Blutdruck. Dann gab sie ihr eine intravenöse Spritze, während der Sanitäter einen Intubationsapparat hervorholte, eine Atemhilfe.
Immer noch pochte mein Herz wie verrückt. Ich hatte das Gefühl, als würde ich gleich ebenfalls aufhören zu atmen.
Ich erklärte der Notärztin, was geschehen war. »Zwei Minuten lang hatte sie heftige Krämpfe. Ihre Gliedmaßen waren steif wie ein Brett, und ihre Augen rollten nach hinten weg.« Ich erzählte ihr vom Schattenboxen und dem Schlag, der über Jannies linkem Auge gelandet war.
»Hört sich nach einem epileptischen Anfall an«, sagte die Ärztin. In ihren grünen Augen sah ich Mitleid und Trost. »Es könnte der Schlag gewesen sein, den sie bekommen hat – selbst wenn er leicht war. Der Aufschlagwinkel. Wir sollten sie nach St. Anthony's bringen.«
Ich nickte zustimmend und sah mit Entsetzen, wie sie mein kleines Mädchen auf die Trage
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