Untitled
nichts stehlen wollten und dass keinem etwas geschehen würde. Er und Dougherty verachteten Banken und hassten Versicherungen. Darin könnte eine Verbindung zu euren Scheißkerlen bestehen.«
Withers fuhr mit seinen Erinnerungen und Mutmaßungen fort. Er sprach mit dem weichen, einschläfernden Akzent des Mittelwestens. Ich lehnte mich zurück und dachte über das nach, was er gesagt hatte. Vielleicht hasste da draußen noch jemand Banken und Versicherungen. Möglicherweise hassten diese Leute auch aus irgendwelchen Gründen Banker und deren Familien . Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass jemand mit einem tief verwurzelten, unversöhnlichen Hass hinter den Überfällen und Morden steckte. Jedenfalls ergab diese Theorie genauso viel Sinn wie jede andere, die wir bisher hatten.
Nachdem Sam Withers den Konferenzraum verlassen hatte, sprachen wir über Fälle, die möglicherweise mit den Raubmorden in Church Falls und Silver Spring in Verbindung standen. Einer dieser Fälle erweckte meine besondere Aufmerksamkeit. Im Januar war außerhalb von Philadelphia ein größerer Raubüberfall verübt worden. Zwei Männer hatten den Ehemann und das Kleinkind einer leitenden Bankangestellten entführt. Sie behaupteten, eine Bombe zu haben, und drohten, ihre Geiseln in die Luft zu jagen, wenn man den Tresorraum nicht öffnete.
»Sie hielten mittels Walkie-Talkies Verbindung und benutzten auch Polizei-Scanner. So ähnlich wie beim Überfall auf die First Union«, berichtete Betsey anhand ihrer ausführlichen Notizen. »Es könnten dieselben Leute wie bei der First Union sein.«
»Gab es Gewaltanwendung bei diesem Überfall in der Nähe von Philadelphia?«, fragte ich.
Betsey schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr glänzendes schwarzes Haar von einer Seite auf die andere wippte. »Nein.«
Trotz der fast unbegrenzten Mittel des FBI und hunderter örtlicher Polizeidienststellen waren wir bei den Raubmorden keinen Schritt weitergekommen. Irgendetwas an diesem Bild war völlig falsch. Wir dachten immer noch nicht wie die Mörder.
G egen halb fünf nachmittags kam ich zurück ins St. Anthony's. Jannie war nicht auf ihrem Zimmer, was mich überraschte. Nana und Damon saßen da und lasen. Nana sagte, Jannie müsse sich weiteren Untersuchungen unterziehen, die von ihrem Neurologen, Dr. Petito, angeordnet worden waren.
Viertel vor fünf kam Jannie zurück. Sie sah müde aus. Sie war zu jung für diese Tortur. Sie und Damon waren immer gesund gewesen, schon als Babys. Deshalb war das alles jetzt ein umso größerer Schock.
Als Jannie im Rollstuhl zurück ins Zimmer kam, hatte Damon einen Kloß im Hals. Genau wie ich.
»Nimm uns beide ganz fest in die Arme«, sagte Jannie und schaute uns an. »So wie früher, als wir noch klein waren.«
Sofort wurde das Bild in meiner Erinnerung lebendig, und ich erfüllte Jannie ihren Wunsch: Ich nahm meine beiden Kleinen in die Arme und hielt sie ganz fest.
Wir hielten uns noch immer eng umschlungen, als Nana von einem Spaziergang auf dem Flur zurückkam. Sie hatte jemanden im Schlepptau.
Christine Johnson betrat hinter Nana das Krankenzimmer. Sie trug eine silbergraue Bluse zu einem dunkelblauen Rock und farblich passenden Schuhen. Offenbar war sie direkt von der Schule ins Krankenhaus gekommen. Sie kam mir ein wenig distanziert vor, aber wenigstens war sie hier, um Jannie zu besuchen.
Ich würde Nana später fragen, wer sich um den kleinen Alex kümmerte.
»Na, es sind ja alle hier«, sagte Christine. Sie mied den Blickkontakt mit mir. »Ich wünschte, ich hätte meine Kamera dabei.«
»Ach, so sind wir immer«, erklärte Jannie. »Das ist bloß unsere Familie.«
Wir plauderten ein wenig, lauschten vor allem aber Jannies Schilderung ihres langen und schrecklichen Tages. Plötzlich schien sie sehr verletzbar und winzig zu sein. Um fünf Uhr brachte man ihr Abendessen. Statt sich über die fade Krankenhauskost zu beschweren, lobte sie alles und sagte, dass es köstlicher sei als ihre Lieblingsspeisen, die Nana zubereitete.
Alle lachten darüber, mit Ausnahme von Nana, die so tat, als wäre sie eingeschnappt. »Na schön, wenn du wieder zu Hause bist, können wir ja das Essen immer vom Krankenhaus kommen lassen«, sagte sie und warf Jannie einen gespielt bösen Blick zu. »Das erspart mir einen Haufen Ärger und Arbeit.«
»Ach, du liebst es doch, zu arbeiten«, sagte Jannie. »Und du liebst Ärger.«
»Fast so sehr, wie du es liebst, mich auf den Arm zu nehmen«, schoss Nana
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