Untitled
schnallten und zum Rettungswagen trugen. Meine Beine waren immer noch weich. Ich fühlte mich wie betäubt und hatte einen Tunnelblick.
»Sie müssen die Sirene einschalten«, flüsterte Jannie den Sanitätern zu, als diese sie in den Krankenwagen hoben. »Bitte.«
Und das taten sie – den ganzen Weg bis zum St. Anthony'sKrankenhaus. Ich weiß es, denn ich fuhr mit.
Es war die längste Fahrt meines Lebens.
I m Krankenhaus machte man bei Jannie ein EEG, anschließend eine so gründliche Untersuchung, wie es um diese Tageszeit möglich war. Man testete ihre Schädelnerven. Man forderte sie auf, eine gerade Linie abzugehen, dann auf einem Fuß zu hüpfen, um festzustellen, ob eine Ataxie, eine Koordinationsstörung, vorlag. Sie tat alles, was man von ihr verlangte. Es schien ihr jetzt besser zu gehen. Dennoch betrachtete ich sie, als könnte sie jeden Moment in Stücke brechen.
Als die Untersuchungen zu Ende waren, erlitt Jannie einen zweiten Anfall. Dieser dauerte länger als der erste und war heftiger. Als er endlich aufhörte, verabreichte man Jannie intravenös Valium. Das Personal des Krankenhauses tat alles, um ihr zu helfen, aber die Besorgtheit der Leute machte mir auch entsetzliche Angst. Eine Schwester fragte mich, ob es vor dem epileptischen Anfall irgendwelche Symptome gegeben habe, verschwommene Sicht zum Beispiel oder Kopfschmerzen, Übelkeit, Verlust der Koordinationsfähigkeit. Mir war nichts Ungewöhnliches aufgefallen.
Als Dr. Bone von der Notaufnahme Jannies Untersuchung beendet hatte, nahm sie mich beiseite. »Wir behalten sie zur Beobachtung über Nacht hier, Detective Cross. Wir wollen besonders vorsichtig sein.«
»Besonders vorsichtig ist gut«, sagte ich. Ich zitterte immer noch, ich sah es an meinen Händen.
»Vielleicht muss Jannie auch noch länger bleiben«, fügte Dr. Bone hinzu. »Wir müssen noch weitere Untersuchungen bei ihr vornehmen. Es gefällt mir ganz und gar nicht, dass es zu einem zweiten Anfall gekommen ist.«
»In Ordnung. Selbstverständlich, Dr. Bone. Mir gefällt der zweite Anfall ebenso wenig.«
Im dritten Stock war ein Bett verfügbar, und ich fuhr mit Jannie hinauf. Die Krankenhausordnung verlangte, dass sie mit einer Trage hinaufgebracht wurde, aber ich durfte sie immerhin schieben. Jannie war im Aufzug leicht benommen und ungewöhnlich still. Sie stellte mir keine Fragen, bis wir allein hinter dem Vorhang im Krankenzimmer waren.
»Okay«, sagte sie. »Sag mir die Wahrheit, Daddy. Du musst mir alles sagen. Die Wahrheit .«
Ich holte tief Luft. »Na schön, du hattest ein Grand mal, einen epileptischen Anfall. Genauer gesagt, hattest du zwei solcher Anfälle. Manchmal treten sie urplötzlich auf, Schätzchen. Aus heiterem Himmel, wie heute Abend. Damons Schlag könnte etwas damit zu tun haben.«
Sie runzelte die Stirn. »Er hat mich kaum berührt.« Jannie blickte mir tief in die Augen und versuchte meine Gedanken zu lesen. »Okay«, sagte sie. »Dann ist es wohl nicht sehr schlimm, oder? Wenigstens bin ich immer noch auf dem Planeten Erde.«
»Rede nicht so«, sagte ich. »Das ist nicht komisch.«
»In Ordnung. Ich will dir keine Angst machen«, flüsterte sie.
Jannie nahm meine Hand und war binnen weniger Minuten fest eingeschlafen, ohne meine Hand loszulassen.
Z WEITES B UCH
HASSBRIEFE
N iemand verstand, was hier geschah, geschweige denn, warum es geschah.
Das liebte er. Dieses Gefühl der Überlegenheit, das daraus entstand. Sie alle waren zitternde Schwachköpfe.
Auf einer numerischen Skala von 9.9999 bis 10 liefen die Dinge sehr gut. Das Superhirn war sicher, dass er keinen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. Besondere Genugtuung bereiteten ihm der Bankraub in Church Falls und vor allem die vier rätselhaften Morde.
Er durchlebte jeden Moment des blutigen Verbrechens, als wäre er selbst dort gewesen anstelle der Glückspilze Rot, Weiß, Blau und Miss Grün. Mit tiefer Freude und Genugtuung stellte er sich die Szene im Haus des Bankdirektors vor, dann die Morde in der Bank. Immer wieder beschwor das Superhirn vor seinem geistigen Auge das Szenario herauf, vor allem jedes einzelne Detail der Morde. Die Kunstfertigkeit und der Symbolismus, die sich darin offenbarten, erfüllten ihn mit Vertrauen in die Klugheit seines Denkens – und mit dem Gefühl, das absolut Richtige zu tun.
Unwillkürlich lächelte er bei dem Gedanken an den Telefonanruf bei der Polizei mit dem Tipp, dass ein Bankraub verübt wurde. Er selbst hatte angerufen.
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