Untitled
Copeland, der als extrem selbstmordgefährdet eingestuft wurde. Um neun Uhr schließlich begannen die fünfzehnminütigen Überprüfungen, bei denen ich immer genau wissen musste, wo sich sämtliche Patienten aufhielten. Alle fünfzehn Minuten hakte ich ihre Namen an der Tafel auf dem Korridor vorm Schwesternzimmer ab.
Jedes Mal, wenn ich zu der Tafel ging, machte ich bei den wahrscheinlichsten Verdächtigen einen etwas kräftigeren Haken mit der Kreide. Am Ende der ersten Stunde meiner Überprüfungen stellte ich fest, dass ich sieben Kandidaten auf meiner heißen Liste hatte.
Der Patient James Gallagher war nur deshalb auf der Liste, weil er im Großen und Ganzen der körperlichen Beschreibung des Superhirns entsprach. Er war groß, mit breiter Brust, und schien relativ aufgeweckt und gescheit zu sein. Das allein machte ihn verdächtig.
Frederic Szabo machte dagegen sein Privileg, jederzeit in die Stadt gehen zu dürfen, verdächtig, aber er war ein Angsthase und ich bezweifelte, dass er ein Mörder war. Seit Vietnam hatte er sich herumgetrieben und keinen Job länger als ein paar Wochen behalten. Gelegentlich spuckte er die Mitarbeiter des Krankenhauses an, aber das schien auch schon das schlimmste Verbrechen zu sein, zu dem er fähig war.
Stephen Brown besaß ebenfalls das Privileg, jederzeit in die Stadt zu gehen. Er war ein viel versprechender Captain bei der Infanterie in Vietnam gewesen. Brown litt unter PTSS und war seit 1971 immer wieder für kürzere oder längere Zeit im Veteranen-Krankenhaus gewesen. Er bildete sich etwas darauf ein, behaupten zu können, nie einen »richtigen Job« gehabt zu haben, seit er das Militär verlassen hatte.
David Hale war zwei Jahre lang Polizist in Maryland gewesen, ehe er paranoide Wahnvorstellungen bekam: Sah er einen Asiaten auf der Straße, war er überzeugt, dieser wolle ihn umbringen.
Michael Fescoe hatte für zwei Banken in Washington gearbeitet, schien jetzt aber so sehr von der Rolle zu sein, dass er sein eigenes Konto nicht mehr begreifen konnte. Vielleicht täuschte er PTSS nur vor, doch sein Therapeut am Krankenhaus glaubte das nicht.
Auf Clete Anderson passte die körperliche Beschreibung des Superhirns. Ich mochte ihn nicht. Und er war gewalttätig. Doch Anderson hatte nichts getan, was mir Anlass zu der Vermutung gegeben hätte, er könne das Superhirn sein. Ganz im Gegenteil.
Kurz vor Schichtwechsel rief Betsey Cavalierre mich an. Ich nahm den Anruf in dem kleinen Aufenthaltsraum hinter dem Schwesternzimmer entgegen. »Was ist los, Betsey?«
»Alex, da ist etwas sehr Eigenartiges passiert«, sagte sie und klang verstört. Ich fragte sie, was geschehen sei, und ihre Antwort versetzte mir einen üblen Schock.
»Mike Doud wird vermisst. Er ist heute Morgen nicht zum Dienst erschienen. Wir haben seine Frau angerufen, und sie hat gesagt, er sei zur üblichen Zeit losgefahren.«
»Was unternimmt das FBI in der Sache?«, fragte ich.
»Wir glauben nicht, dass er einen Autounfall hatte. Und um eine Vermisstenmeldung rauszujagen, ist es noch zu früh. Aber das sieht Doud überhaupt nicht ähnlich. Er ist ein wirklich anständiger Kerl, ein Familienmensch, absolut verlässlich. Erst Walsh und jetzt das«, sagte sie. »Was ist da los, Alex? Das ist er, nicht wahr? «
J agte er etwa uns? Agent James Walsh war tot, und jetzt wurde Mike Doud vermisst. Ich hatte keine Ahnung, ob beide Vorfälle miteinander verknüpft waren, aber wir mussten davon ausgehen.
Ich hatte einen Termin für eine Unterredung mit Dr. Cioffi im Verwaltungsgebäude des Veteranenkrankenhauses und wollte diesen Termin einhalten. Ich hatte einige Nachforschungen über den Hintergrund Cioffis und einiger anderer Psychiater im Hazelwood angestellt. Cioffi war selbst Armee-Veteran. Er hatte zweimal in Vietnam Dienst getan und dann in mehreren Veteranenkrankenhäusern gearbeitet, bevor er ins Hazelwood kam. Konnte Cioffi das Superhirn sein? Mit Sicherheit hatte er das Hintergrundwissen über abnorme Psychologie. Aber das galt ebenso für mich.
Als man mich in Dr. Cioffis Büro führte, saß er an einem großen Schreibtisch aus Kiefernholz. Er saß mit dem Rücken zum Fenster in einem Sessel mit Rohrgeflecht und gelb gestreiften Kissen aus demselben Material wie die Vorhänge.
Ich konnte ihn nicht besonders deutlich sehen, wusste aber, dass er mich umso besser sah. Oh, was wir doch für Spiele spielen – selbst wir Seelenärzte.
Langsam schaute er auf und tat überrascht. »Detective
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