Untitled
Straße runter. Es waren Koffer, wie Handlungsreisende sie benutzten, mit Kunstleder bezogen, in verschiedenen Größen. Daneben lag ein aufgepumpter roter Ball von gut einem halben Meter Umfang.
»Er sagt nicht: ›Wo steckt unser Ollie?‹ - o nein, das sagt er ganz und gar nicht«, beharrte sie, inzwischen überzeugt, daß der Bankdirektor längst aufgelegt hatte. »Er sagt: ›Wollen Sie bitte so freundlich sein und Mr. Oliver Hawthorne ans Telefon holen‹, oder so ähnlich. Sie haben doch nicht im Lotto gewonnen, Ollie? Aber davon würden Sie uns ja nichts erzählen, das sieht Ihnen ähnlich, immer stark und helfen, wenn er mit Mr. Toogood gesprochen hat. Laß ihn bloß nicht fallen.« Sie stemmte in gespielter Verzweiflung die geballten Fauste in die Hüften: »Oliver Hawthorne. Mr. Toogood ist ein hochbezahlter Angestellter unserer Bank. Wir können ihn nicht für hundert Pfund die Stunde ins Nichts horchen lassen. Wenn er demnächst unsere Gebühren anhebt, sind Sie daran schuld.«
Inzwischen aber waren ihre Gedanken, verführt von der einschläfernd warmen Frühlingssonne, in eine seltsame Richtung abgeschweift, wie sie das bei Ollie des öfteren zu tun pflegten. Sie dachte, was für ein Bild die beiden abgeben, fast wie Brüder, auch wenn sie einander gar nicht allzu ähnlich sind: Ollie, groß wie ein Berg in seinem Wolfsmantel, den er bei jedem Wetter trug, egal was die Nachbarn sagen oder was für Blicke er damit ernten mochte; Sammy, hager und spitznasig wie sein Vater, mit dem seidig braunen Haar und der Bomberjacke aus Leder, die er praktisch ununterbrochen trug, seit Ollie sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.
Sie dachte an den Tag zurück, an dem Oliver vor ihrer Haustür aufgetaucht war: eine verknitterte Gestalt, riesenhaft in diesem Mantel, mit Zweitagebart und nur einem kleinen Koffer in der Hand. Neun Uhr morgens, sie räumte gerade das Frühstück weg. »Kann ich hier bei Ihnen wohnen, bitte?« sagt er, nicht: Haben Sie ein Zimmer frei? oder: Kann ich´s mir mal ansehen? oder: Was kostet das pro Nacht? - nur: »Kann ich hier bei Ihnen wohnen?« Wie ein verirrtes Kind. Und es regnet, wie kann sie ihn da vor der Tür stehen lassen? Sie reden über das Wetter, er bewundert ihr Mahagonibüfett und die Uhr aus vergoldetem Messing. Sie zeigt ihm den Salon und das Eßzimmer, sie erklärt ihm die Hausordnung und führt ihn nach oben, wo sie ihm Nummer sieben mit Blick auf den Friedhof zeigt, falls ihm das nicht zu deprimierend ist. Nein, sagt er, er hat nichts gegen die Gesellschaft von Toten. So hätte Elsie das freilich nicht formuliert, nicht seit Mr. Watmores Ableben, dennoch können sie beide herzlich darüber lachen. Ja, sagt er, es kommt noch einiges an Gepäck nach, hauptsächlich Bücher und dergleichen.
»Und ein häßlicher alter Lieferwagen«, fügt er zaghaft hinzu. »Wenn er Sie stört, schiebe ich ihn die Straße runter.« »Warum sollte der mich stören?« erwidert sie züchtig. »So empfindlich sind wir hier nicht in Mariners´ Rest, Mr. Hawthorne, und das wird auch hoffentlich so bleiben.«
Und als nächstes zahlt er einen Monat im voraus, vierhundert Pfund in bar auf den Waschtisch, ein Geschenk des Himmels, wenn sie an ihr überzogenes Konto denkt.
»Sie sind doch nicht auf der Flucht, mein Lieber?« fragt sie halb wie im Scherz, als sie wieder unten sind. Er sieht sie verdutzt an, dann wird er rot. Aber schließlich erscheint ein überaus sonniges Lächeln auf seinem Gesicht, und alles ist wieder gut. »Zur Zeit nicht, oder was glauben Sie?« sagt er.
»Und der da ist Sammy«, sagt Elsie und zeigt auf die halb offene Salontür, da Sammy sich wie üblich von oben herangeschlichen hat, um den neuen Gast zu begutachten. »Komm da raus, Sammy, ich hab dich gesehen.«
Und eine Woche später hatte Sammy Geburtstag, und diese Lederjacke mußte mindestens fünfzig Pfund gekostet haben, und Elsie machte sich furchtbare Sorgen, weil die Männer ja heutzutage zu allem fähig waren, auch wenn sie notfalls noch so charmant sein konnten. Die ganze Nacht blieb sie auf und zerbrach sich den Kopf darüber, was ihr armer Jank in so einem Fall getan haben würde, denn Jack mit seinen Jahren auf See hatte eine Nase für solche Leute. Er könne sie schon riechen, wenn sie noch auf der Gangway seien, hatte er oft geprahlt, und nun fürchtete sie, daß Oliver auch so einer war und sie die Anzeichen übersehen hatte. Am nächsten Morgen war sie kurz davor, Ollie zu sagen, er solle die Jacke
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