Untitled
Hörweite von Oliver eingeschärft, als sie darauf gedrängt hatte, ebenfalls Observationsaufgaben übernehmen zu dürfen. »Bummeln, lesen, einkaufen, Galerien besuchen, ins Kino gehen, zum Friseur gehen. Was gibt´s da zu grinsen?« Nichts, sagte Oliver. Das Torschloß summte. Oliver hatte einen schwarzen Aktenkoffer dabei, vollgestopft mit Aktenattrappen, einem elektronischen Notizbuch, einem Handy und anderem Spielzeug für Erwachsene. Eins dieser Dinger welches, wußte er selbst nicht - diente gleichzeitig als Funkmikrofon.
»Mr. Single, Sir. Oliver! Fünf Jahre. Mein Gott!« Der dicke Dr. Conrad begrüßte ihn mit der gedämpften Begeisterung, mit der sich die Teilnehmer einer Beerdigung begrüßen; er eilte ihm aus seinem Büro entgegen, reckte das Kinn und breitete die kurzen Ärmchen aus, die er dann zu einem kondolierenden Händedruck zusammenführte, den er bewerkstelligte, indem er die teigige Linke auf ihre beiden rechten Hände legte und dazu säuselte: »Absolut schockierend - der arme Winser - wirklich eine Tragödie. Sie haben sich nicht verändert, würde ich sagen. Schlanker sind Sie jedenfalls nicht geworden! Und dicker auch nicht von all dem ausgezeichneten chinesischen Essen.« Und damit nahm Dr. Conrad Olivers Arm und führte ihn an seiner Assistentin, Frau Marty, und dann an anderen Assistenten und den Türen seiner Partner vorbei in ein getäfeltes Arbeitszimmer, wo sich über einem gotischen gemauerten Kamin eine üppige Kurtisane räkelte, nackt bis auf die schwarzen Strümpfe und den goldenen Rahmen. »Gefällt sie Ihnen?« »O ja, großartig.«
»Manchen meiner Klienten ist sie ein wenig zu gewagt. Ich habe eine Gräfin, die im Tessin lebt, und wenn die kommt, tausche ich das Bild gegen einen Hodler aus. Die Impressionisten gefallen mir sehr. Aber mir gefallen auch Frauen, die nicht alt werden.« Die kleinen Vertraulichkeiten, damit du dir als was Besonderes vorkommst, kamen Oliver in den Sinn. Das gierige Chirurgengeschwätz, bevor er dich aufschneidet. »Sie haben inzwischen geheiratet, Oliver?« »Ja« - er dachte an Aggie. »Ist sie schön?« »Ich finde, ja.« »Und nicht alt?« »Fünfundzwanzig.« »Brünett?«
»Eher mausblond«, antwortete Oliver unerklärlich schüchtern. Unterdessen hört er in seinem Kopf Tigers übertriebene Auslassungen über unseren tapferen Doktor: Unser Hexenmeister im Ausland, Oliver, der größte Name im NoName-Geschäft, der einzige Mann in der Schweiz, der dich blind durch den Steuerdschungel von zwanzig verschiedenen Ländern führen kann.
»Möchten Sie Kaffee - Filter, Espresso? Wir haben jetzt eine Maschine - heute wird alles mit Maschinen gemacht! Eventuell entkoffeiniert? Zwei Filterkaffee bitte, Frau Marty, aber mit Gift, bitte! - Zucker? - Zucker nimmt er auch! - demnächst sind auch wir Anwälte Maschinen. Und kein Telefon, Frau Marty, nicht mal, wenn die Queen anruft. Tschüss!« All dies, während er Oliver auf einen Sessel ihm gegenüber bugsierte, eine schwarzrandige Brille aus der Tasche der Strickjacke zog, die er zur Betonung seiner Ungezwungenheit trug, und die Brille mit einem Gamsledertuch aus der Schublade polierte, sich in seinem Sessel nach vorn beugte, die Augen über die schwarze Einfassung seiner Brille hob, Oliver einer zweiten eingehenden Untersuchung unterzog und dann noch einmal Winsers Hinscheiden beklagte. »Nirgendwo auf der Welt ist man mehr sicher, niemand, nicht einmal hier in der Schweiz.«
»Ja, furchtbar«, stimmte Oliver zu.
»Vor zwei Tagen wurde in Rapperswil«, fuhr Dr. Conrad fort und richtete seinen eindringlichen Blick aus irgendeinem Grund auf Olivers Krawatte - neu, von Aggie gekauft, weil ich dich in diesem mit Suppe bekleckerten orangefarbenen Ding nicht mehr sehen kann - »eine ehrbare Frau von einem ganz normalen Jungen erschossen, einem Tischlerlehrling. Ihr Mann war stellvertretender Bankdirektor.«
»Entsetzlich«, stimmte Oliver wieder zu.
»Vielleicht war es bei dem armen Winser auch so etwas«, meinte Dr. Conrad und senkte die Stimme, um seiner Theorie den Nachdruck der Heimlichkeit zu geben. »Wir haben viele Türken hier in der Schweiz. Als Kellner in Restaurants, als Taxifahrer. Im großen ganzen ist ihr Benehmen nicht zu beanstanden, bis jetzt. Aber man muß sich vorsehen. Man kann nie wissen.«
Nein, man kann nie wissen, wiederholte Oliver von Herzen und stellte seine Aktentasche auf den Schreibtisch; und ließ, voller Sehnsucht, endlich zum Geschäftlichen zu kommen, die beiden
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